Die Region Katalonien will ihre Unabhängigkeit. Die Wahl am Sonntag im Nordosten Spaniens soll Klarheit schaffen.

Girona. Quer durch Katalonien stechen dem Betrachter die rot und gelb gestreiften Flaggen ins Auge, viele tragen den Slogan "Katalonien, ein neuer europäischer Staat". Am Sonntag stehen in der Region im Nordosten Spaniens Wahlen an, und inmitten der Finanzkrise fühlen sich Millionen Separatisten einem unabhängigen Katalonien so nah wie nie zuvor. Aber was würde das für Europa bedeuten?

In der EU heißt es, ein unabhängiges Katalonien müsste die gleichen Kriterien für eine Mitgliedschaft erfüllen wie jeder andere Kandidat. Der für Handel berühmten Region stünden also wahrscheinlich jahrelange Verhandlungen mit der EU bevor, deren Mitgliedsländer die wichtigsten Geschäftspartner für Katalonien sind. Und Spanien hätte nach wie vor ein Vetorecht.

Eine Umfrage der Tageszeitung "El País" legt nahe, dass viele Bürger solche Konsequenzen nicht bedacht haben. Knapp die Hälfte der Katalanen unterstützt demnach die Idee der Unabhängigkeit - aber wenn diese bedeuten würde, nicht mehr zur EU zu gehören, sinkt der Anteil auf 37 Prozent.

Der katalanische Regionalpräsident Artur Mas zählt zu den Anführern der Unabhängigkeitsbewegung und verbreitet in der EU-Frage Optimismus. "Katalonien hat in seiner Geschichte nie Europa im Stich gelassen, jetzt vertrauen wir darauf, dass Europa uns nicht im Stich lassen wird."

Auch in Girona, einer der reichsten Städte Spaniens, ist sich die Musiklehrerin Mercè Escarrà sicher: "Wenn die Mehrheit der Katalanen für die Unabhängigkeit stimmt, kann ich mir nicht vorstellen, dass die EU uns den Rücken zukehrt." Escarrà schaffte es vor zwei Jahren in die lokalen Zeitungen, als sie sich weigerte, die rot-gelbe Flagge auf dem Balkon abzuhängen. Dem Vermieter teilte sie damals mit, sie habe das Recht zum Protest. "Jetzt gibt es einen Boom bei der Unabhängigkeitsbewegung", sagt die 35-Jährige.

Wie viele andere auch sieht sie gute Argumente für ein unabhängiges Katalonien: Die Region überweist mehr nach Madrid, als von dort zurückfließt. Die Infrastruktur ist von der Zentralregierung vernachlässigt worden. Unabhängigkeit würde das Überleben der katalanischen Sprache garantieren.

Nach Berechnungen der Regionalregierung werden jährlich 16 Milliarden Euro mehr nach Madrid transferiert, als man zurückbekommt. Auch andere reiche Regionen sind Nettozahler, aber viele Katalanen fühlen sich bei Projekten wie dem Mittelmeer-Korridor für Eisenbahnen außer Acht gelassen, während das Netz von Hochgeschwindigkeitszügen bis in wenig industrialisierte Regionen ausgebaut wird.

Viele Dörfer in Katalonien haben sich bereits zu "freien katalanischen Territorien" erklärt - doch Symbolik kann harte Wirtschaft nicht ersetzen. Die Mehrheit der regionalen Unternehmen hält sich in der Unabhängigkeitsfrage zurück, wartet die Entwicklung ab. Doch José Manuel Lara, Chef des Mediengiganten Planeta, hat bereits angekündigt, den Sitz seines Unternehmens von Katalonien in eine andere Region Spaniens zu verlegen, um in der EU zu bleiben.

Ramon Tremosa sitzt für die Pro-Unabhängigkeitspartei von Mas im Europaparlament und glaubt an den Einfluss der in Katalonien ansässigen multinationalen Unternehmen auf Brüssel. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die 4000 multinationalen Unternehmen erlauben würden, von der EU, dem Euro und dem freien Verkehr von Waren und Kapital ausgeschlossen zu werden, das ist nicht realistisch", sagt Tremosa. "Spanien könnte nichts ausrichten, weil es Richtung Rettungsschirm driftet."

So sicher sind sich Rechtsexperten nicht. "Das ist unbekanntes Gebiet", sagt Andreu Olesti auf die Frage, wie lange ein Beitritt Kataloniens zur EU sich hinziehen könnte. Olesti ist Professor für Internationales Recht an der Universität Barcelona. Auch Professor Nicolás Zambrana lehrt Internationales Recht in Navarra. Die Zentralregierung könnte Katalonien aus der EU heraushalten, sagte Zambrana.

Vor der Regionalwahl am Sonntag deutet die Umfrage von "El País" auf nur leichte Zugewinne für die CiU-Partei von Mas hin. Damit bleibt fraglich, ob das Ergebnis so klar ausfällt, dass Mas daraus ein Mandat für eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens herleiten könnte.