EU-Staats- und Regierungschefs haben Gipfel zu Finanzrahmen unterbrochen. Merkel sieht kaum Chancen für Einigung am Freitag.

Brüssel. Das Feilschen in Brüssel ist eröffnet: Mit sehr gegensätzlichen Positionen sind die Staats- und Regierungschefs der EU gestern Abend in Verhandlungen um den Haushaltsrahmen der Gemeinschaft für die Jahre 2014 bis 2020 gestartet. Noch vor dem eigentlichen Gipfelauftakt am Abend baten EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy die 27 Staats- und Regierungschefs zum Sechs-Augen-Gespräch, um deren rote Linien im Billionen-Poker auszuloten.

Der britische Premierminister David Cameron stieg als erster in den "Beichtstuhl" und kündigte einen harten Kampf für den sogenannten Britenrabatt sowie weitere Kürzungen am Unionsbudget an. Da in den Hauptstädten der Krisen-Rotstift regiere, halte er Mehrausgaben in Brüssel für "sehr falsch". Allerdings verkniff er sich eine neuerliche Drohung, die Verhandlungen per Veto platzen zu lassen.

Der bisherige Budgetansatz von Gipfelchef Van Rompuy sah vor, den Plan der EU-Kommission um 80 Milliarden auf insgesamt 1010 Milliarden Euro für die kommenden sieben Jahre abzuspecken. Das wären - in realen Preisen - 25 Milliarden Euro weniger als für die Periode 2007 bis 2013, obwohl es mit Kroatien bald ein Mitgliedsland mehr geben wird. Deutschland und die anderen Nettozahler wollen den Haushalt gar auf 960 Milliarden Euro begrenzen. In deutschen Regierungskreisen wird angesichts der verhärteten Fronten schon beschwichtigt, es sei "kein Beinbruch", wenn man nicht gleich in dieser Woche eine Lösung erreiche - sondern vielleicht erst Anfang des kommenden Jahres.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht mittlerweile kaum noch Chancen, dass sich der EU-Sondergipfel am Freitag auf einen Finanzrahmen für die Jahre 2014 bis 2020 einigen kann. „Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine Etappe zwei geben“, sagte Merkel nach der Unterbrechung des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs am frühen Freitagmorgen in Brüssel. „Die Positionen sind zum Teil noch sehr auseinander“, sagte sie zur Begründung. Zuvor hatten die Regierungen die Beratungen unterbrochen, damit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy bis Freitagmittag einen neuen Kompromissvorschlag für den EU-Haushalt vorlegen kann, der ein Volumen von rund einer Billion Euro haben soll. Die wichtigsten Konfliktlinien im Überblick:

Nettozahler gegen Nettoempfänger

Die größte Trennlinie ist zwischen Ländern, die mehr in den EU-Haushalt einbezahlen als sie an Fördergeldern bekommen, und den Mitgliedern mit einem klaren Überschuss in dieser Bilanz. Deutschland wird auch im neuen Haushalt größter Nettozahler sein, gemeinsam mit Frankreich, Italien und Großbritannien. Polen führt die Empfängerländer an. Dazu gehören aber auch Staaten wie Ungarn und Spanien. Die Nettozahler pochen auf ein schlankeres Budget. Die Nettoempfänger warnen vor Rückschlägen in ihrer Entwicklung, sollte die Förderung aus Brüssel nachlassen.

Arm gegen Reich

Neue EU-Mitglieder wie Polen haben in den vergangenen Jahren aufgeholt. Sie verweisen auf heimische Regionen, in denen es an Autobahnen und Stromnetzen fehlt, für deren Ausbau sie weiter EU-Mittel brauchen. Auch haben sie die Zusage, im neuen Haushalt nun erstmals voll an den Fördertöpfen teilzuhaben. Zugleich will die historisch stärker gestützte Südschiene der EU keine Kürzungen ausgerechnet mitten in der Schuldenkrise hinnehmen. Griechenland würde beispielsweise nach den bisherigen Vorschlägen zu den Staaten mit den größten Einschnitten gehören. Die großen Volkswirtschaften im Westen wiederum spüren sehr deutlich die weltweite Abkühlung der Konjunktur, kämpfen mit einer Konsolidierung ihrer nationalen Haushalte und wollen entsprechende Konsequenzen auch auf EU-Ebene ziehen. Hohe EU-Hilfen hätten die Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder nicht erhöht, kritisieren sie. Der Beitrag zu den Kohäsions- und Strukturfonds, die für die ärmeren Staaten im Osten und Süden gedacht sind, ist mit einem Anteil von rund 36 Prozent der zweitgrößte Batzen im Haushalt.

Landwirtschaft gegen Industrie

Agrarsubventionen machen im bisherigen Haushalt knapp 40 Prozent und damit den größten Anteil aus. Sie waren in absoluten Zahlen bisher stabil, was nicht mehr durchgehalten werden kann, wenn der Gesamthaushalt nicht steigt. Größter Nutznießer dieser Ausgaben ist Frankreich, aber auch Bundesagrarministerin Ilse Aigner aus Bayern wehrte sich im Vorfeld gegen "einseitige Belastungen der Landwirtschaft". Andererseits fordert Deutschland als Anführer der "friends of better spending" etwa: Freunde einer besseren Ausgaben-Politik - mehr Qualität bei der Verteilung der Mittel. Sie sollen stärker in Wachstum, Forschung und Entwicklung fließen, um den Wirtschaftsstandort Europa zu stärken.

Rabattländer gegen Staaten ohne Rabatt

Großbritannien hat einen Rabatt auf seine Beiträge 1984 durchgesetzt und will nicht mehr davon lassen. In dieser Verhandlungsrunde verlangt erstmals auch Dänemark eine Rückzahlung, weil das Ungleichgewicht zwischen Beiträgen zum und Mitteln aus dem EU-Haushalt zu groß geworden sei. Deutschland, Schweden, die Niederlande und Österreich erhalten einen Rabatt auf den britischen Rabatt: Alle Mitglieder finanzieren den Nachlass für London gemeinsam, die Staaten haben dabei aber Abschläge errungen. Frankreich und Italien setzen sich dafür ein, das System auslaufen zu lassen. Dagegen hätte niemand wirklich etwas - außer Großbritannien.

Cameron gegen den Rest

Die britische Zuneigung zur EU hat in den vergangenen Jahren mehr und mehr nachgelassen. Teile der regierenden Konservativen Partei würden die Gemeinschaft lieber früher als später verlassen. In einem innenpolitischen Hakenschlag haben sie die eigentlich europa-freundliche Labour-Opposition dazu gebracht, gemeinsam Premierminister David Cameron Handschellen anzulegen: In einem zwar unverbindlichen, aber politisch schwerwiegenden Beschluss hat das Unterhaus den Regierungschef aufgefordert, noch weiterreichende Kürzungen des Haushalts zu verlangen, als er ohnehin angekündigt hatte. Nun steht er mit dem Rücken zur Wand und damit ist auch Spielraum für eine Einigung verlorengegangen: "Wir werden sehr hart für eine gute Vereinbarung für die britischen Steuerzahler kämpfen", kündigte er bei seiner Ankunft in Brüssel an. Luxemburgs Regierungschef sagte über die Partner von der Insel: "Ich habe keine Idee, wie wir sie überzeugen können, aber sie müssen überzeugt werden."