Marsch auf Kinshasa angekündigt. Ruanda unterstützt Aufständische. Uno-Generalsekretär spricht von schweren Menschenrechtsverletzungen.

Hamburg/Kinshasa. Im Schatten der Konflikte in Syrien und im Nahen Osten hat sich die seit Monaten schwelende Krise in Zentralafrika dramatisch verschärft. In der Demokratischen Republik Kongo, die fast siebenmal so groß ist wie Deutschland, sind die Rebellen der "Bewegung M 23" offenbar unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Bei der Eroberung der 500 000-Einwohner-Stadt Goma im Osten des Landes haben die Aufständischen nach Angaben des Uno-Gesandten Roger Meece Stammesführer und Regierungsvertreter hingerichtet. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, sprach von "schweren Menschenrechtsverletzungen" auch an Frauen und Kindern. Eine halbe Million Menschen sind seit dem Ausbruch der Kämpfe auf der Flucht.

In Goma sind gut 1400 der etwa 19 000 Uno-Blauhelme stationiert, die aber aufgrund eines unzureichenden Mandats nicht eingreifen konnten. Dies sei eine absurde Situation, sagte der französische Außenminister Laurent Fabius; das Mandat der Blauhelm-Mission Manusco müsse dringend überarbeitet werden.

Offenbar leisten die Truppen der kongolesischen Regierung von Präsident Joseph Kabila nach anfänglich schweren Kämpfen kaum noch Widerstand. Die Armee gilt als korrupt und miserabel geführt. Die Rebellenmiliz M 23 besteht weitgehend aus ehemaligen Soldaten der 2009 aufgelösten Gruppierung "Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes" (CNDP). Sie waren nach der Verhaftung ihres Führers Laurent Nkunda 2009 in die kongolesische Armee eingegliedert worden. Diese militärische Fusion fand am 23. März des Jahres 2009 statt - daher stammt der Name M 23.

Die Rebellen haben die kongolesische Armee aufgrund schlechter Behandlung - was sie als Bruch des Friedensabkommens von 2009 betrachten - wieder verlassen und drohen nun, auf die 3000 Kilometer entfernte Hauptstadt Kinshasa zu marschieren, um Präsident Kabila zu stürzen. Sie lehnten einen Abzug aus Goma ab und kündigten an, ganz Kongo "befreien" zu wollen. "Erst nehmen wir Bukavu ein - und dann marschieren wir auf Kinshasa. Seid ihr bereit, euch uns anzuschließen?", fragte ein Sprecher der Rebellen im Stadion von Goma. Bukavu ist die Hauptstadt der Nachbarprovinz Süd-Kivu und liegt wie Goma - die Metropole von Nord-Kivu - an der Grenze zu Ruanda. In Kinshasa kursierten derweil Putschgerüchte.

Der Uno-Sicherheitsrat drohte den Rebellen mit Sanktionen. Eine von Frankreich eingebrachte Resolution sieht das Einfrieren von Vermögen der Rebellenführer und ein Reiseverbot vor. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) verlangte die Festnahme der beiden M-23-Führer Bosco Ntaganda und Sylvestre Mudacumura. Sie seien seit Jahren für Gewalt und Verbrechen im Kongo verantwortlich, sagte Chefanklägerin Fatou Bensouda in Den Haag. Ihnen wird auch vorgeworfen, Kinder mit brutaler Gewalt als Soldaten für ihre Miliz zu rekrutieren.

Ein hastig anberaumter Krisengipfel in der ugandischen Hauptstadt Kampala zwischen Joseph Kabila, Ugandas Präsident Yoweri Museweni und dem ruandischen Staatschef Paul Kagame blieb zunächst ohne Ergebnis.

Überraschend ist dies sicher nicht - erhebt Kabila doch schwere Vorwürfe gegen die beiden Nachbarregierungen, die M 23 zu unterstützen. Zu diesem Ergebnis ist allerdings auch ein aktueller Bericht der Vereinten Nationen gekommen. Danach stellt Ruanda den Rebellen Waffen und Ausrüstung zur Verfügung, ihr oberster Befehlshaber sei de facto der ruandische Verteidigungsminister James Kabarebe. Ruanda habe zudem mehr als 2000 seiner Soldaten in die Kämpfe gegen die kongolesische Armee entsandt. "M 23 ist eine ruandische Schöpfung", sagte Steven Hege, Mitglied der Uno-Expertengruppe, die den Bericht erstellt hat. Viele der M-23-Kommandeure seien früher in der CNDP gewesen, die damals starke Unterstützung aus Ruanda und Uganda erhalten habe.

Die Dauerkrise in Zentralafrika hat vor allem ethnische und wirtschaftliche Hintergründe. Zum einen besteht eine alte Feindschaft zwischen den Stämmen Tutsi und Hutu, die sich 1994 in einem Völkermord in Ruanda mit bis zu einer Million Toten entladen hatte. Die Hutu hatten die Tutsi buchstäblich abgeschlachtet, bis der damalige Tutsi-Führer Paul Kagame Ruanda eroberte und bis zu einer Million Hutu nach Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, vertrieb. Die ruandischen Hutu-Flüchtlinge bewaffneten sich dort neu, verbündeten sich mit den kongolesischen Hutu und vertrieben ihrerseits 500 000 Tutsi.

Die gegenwärtige Situation ist die Folge von zwei sich anschließenden Kongo-Kriegen unter Beteiligung zahlreicher Nachbarstaaten. In diesem "Afrikanischen Weltkrieg" starben mehr als drei Millionen Menschen. Der Kongo ist zudem sehr reich an Bodenschätzen, auf die Ruanda und Uganda ein Auge geworfen haben. Es geht vor allem um Erze wie Zinn und das für Handys und Laptops benötigte Koltan sowie um Diamanten und Gold. Obendrein leben die zehn Millionen Einwohner Ruandas sehr viel beengter in dem kleineren Land als die 72 Millionen Kongolesen in ihrem Riesenstaat. Anders als bei den vorwiegend ethnisch motivierten Kriegen der Jahre 1994 bis 1996, 1998 bis 2003 und 2008 spielt diesmal der Wunsch nach mehr Wohlstand offenbar die Hauptrolle. Die Hunderttausenden von Flüchtlingen, die die neuen Auseinandersetzungen hervorgebracht haben, können davon im Moment aber nicht einmal träumen.