Die Durchschnittsbürger haben Barack Obama vier weitere Jahre ins Weiße Haus gewählt. Doch der muss sich mit den Republikanern arrangieren.

Washington. Sein Haar war grauer als damals, das Gesicht leicht gealtert, die Töchter keine kleinen Mädchen mehr, sondern ein Teen die jüngere, eine junge Dame die ältere. Aber ansonsten schien für einen magischen Moment die Zeit zurückgedreht um vier Jahre, als Barack Obama am frühen Mittwochmorgen seine Siegesrede hielt. Der wiedergewählte Präsident zauberte die Hope-and-Change-Euphorie des Jahres 2008 zurück, als er, wiederum in Chicago, ein neues, besseres Amerika versprach, passagenweise mit fast denselben Formulierungen wie damals.

Dass jeder seinen amerikanischen Traum leben könne, "ob einer schwarz ist oder weiß, hispanisch oder asiatisch oder amerikanischer Ureinwohner oder jung oder alt oder reich oder arm, gesund oder behindert, schwul oder hetero". Weil man eben keine "Sammlung von roten und blauen", also republikanischen und demokratischen Staaten sei, sondern "für immer die Vereinigten Staaten von Amerika".

Das Versprechen der Überparteilichkeit und das Loyalitätsgelübde gegenüber den Bürgern, vieles hatte 2008 ähnlich geklungen. Selbst an die herzwärmende Pointe von damals, seinen Töchtern zum Einzug ins Weiße Haus einen Welpen zu schenken, knüpfte er jetzt wieder an, als er der Liebeserklärung an seine Familie die augenzwinkernde Mahnung nachschickte, "dass zunächst ein Hund wahrscheinlich genug ist".

Und doch sind die Zeiten andere, und der Mann, der vor seinen jubelnden Anhängern stand, unterscheidet sich deutlich vom Obama des Jahres 2008. Man möchte ihm die Versicherung gegenüber seinen Kritikern und den Wählern des von ihm mit freundlichen Worten bedachten Mitt Romney glauben, er habe von ihnen "gelernt, und ihr habt mich zu einem besseren Präsidenten gemacht", der "entschlossener und motivierter als je zuvor" ins Weiße Haus zurückkehre.

Denn Obama ist von den Höhen fast übermenschlicher Verheißungen des Jahres 2008 durch die Realitäten der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft zurückgezwungen worden in die Mühen der Ebene. Üblicherweise gehen wiedergewählte Präsidenten in ihre zweite Amtszeit mit einem verbesserten Resultat. Aber unabhängig vom Ergebnis in Florida, verlor Obama sowohl Wahlleute als auch Direktstimmen gegenüber 2008.

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Das ist nicht überraschend angesichts der Höhe des damaligen Triumphes, als er mit 365 Wahlmännerstimmen gegen nur 173 des Republikaners John McCain gewann. Es ist auch nicht überraschend angesichts der immer noch viel zu hohen Arbeitslosigkeit und der Schneckenhaftigkeit, mit der sich die amerikanische Wirtschaft vom Erbe der Bush-Ära erholt inmitten einer nicht ausgestandenen Weltfinanzkrise und der europäischen Euro-Turbulenzen. Der Präsident der Vereinigten Staaten, der mächtigste Politiker der Welt, darf aber nie nur Getriebener sein, er muss und kann handeln und auch gewaltige Probleme zumindest entschärfen - was Vorgänger im Angesicht von Depressionen und Kriegen bewiesen.

Obama ließ sich von den skeptischen, aber in bestimmten Grenzen kooperationswilligen Republikanern konkrete Vorschläge zur Reduzierung des Defizits und zur Ankurbelung der Konjunktur vorlegen, aber er ignorierte diese Ideen dann gänzlich. Als Eric Cantor, damals republikanischer Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, bei einem Treffen im Weißen Haus wenige Tage nach der Inauguration für eine Alternative zum billionenschweren "Stimulus Package" warb, weil dies zu sehr "old Washington" sei, antwortete Obama: "Wahlen haben Konsequenzen. Und, Eric, ich habe gewonnen."

Einzelne Republikaner waren selbst im Sommer 2011 noch zu einem schwierigen Kompromiss bereit, um die Haushaltskrise abzuwenden. Aber da zuckte der Präsident vor einem bereits persönlich ausgehandelten Deal mit John Boehner, dem Mehrheitsführer im "House", in letzter Sekunde zurück, weil er Widerstände in seiner eigenen Partei fürchtete. Mehr Führungskraft und Selbstvertrauen hätten Obama in dieser kritischen Situation gutgetan.

Er freue sich darauf, sagte der wiedergewählte Präsident in seiner Rede in der Nacht auf Mittwoch, sich "in den kommenden Wochen mit Gouverneur Romney zusammenzusetzen und darüber zu reden, wo wir zusammenarbeiten können, um dieses Land nach vorne zu bringen".

Den "Neustart-Knopf", den er einst im Verhältnis zu Russland drücken wollte, muss der Präsident im Umgang mit den Republikanern finden. Jetzt ist der Kompromiss gefordert. Und das aktive Werben um den anderen: Golfpartien mit Parteifreunden und Dinner im Kreis Gleichgesinnter mögen erfreulicher sein, aber ein Lyndon B. Johnson, Bill Clinton und auch George W. Bush hätten solche Anlässe genutzt, um Meinungsbildner von der anderen Seite des Kongresses einzuladen und persönliche Drähte zu knüpfen.

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Zum Dialog bedarf es allerdings zweier. Es ist keineswegs sicher, dass sich die Republikaner, die seit ihrem Erfolg bei den Zwischenwahlen 2010 die Legitimität von Obamas Präsidentschaft schlichtweg leugneten, diesmal gutwillig verhalten. Die Republikaner, die auf große Präsidenten zurückblicken, von Abraham Lincoln über Dwight D. Eisenhower und Ronald Reagan bis George H. W. Bush, befinden sich in einem blamablen Zustand. Selbst der zu Recht gescholtene George W. Bush trat mit einem Programm des "mitfühlenden Konservativismus" an und warb durchaus erfolgreich um neue Wählerschichten wie die rasch wachsende Gruppe der Hispanics. Seine Nachfolger scharten sich dann ausschließlich um die weißen Stammwähler, und sie ließen sich von der Tea Party eine einseitige Programmatik diktieren. So wurde aus legitimer Skepsis gegenüber "big government" ein regelrechter Hass auf die Regierung, und der Schwur, niemals Steuern zu erhöhen, sollte eine verantwortungsbewusste Budgetpolitik ersetzen.

Darum war es wichtig, dass Obama wiedergewählt wurde. Der erste Schwarze im Weißen Haus musste bestätigt werden, weil sein Scheitern wie das Scherbengericht der weißen Amerikaner gewirkt hätte, die immer noch den Ton angeben in dieser Nation im Umbruch: Wir haben's ja mit einem von denen versucht, aber es braucht eben doch einen von uns, wenn's schwierig wird. Dass Romney den Wahlkampf verlor, wird manches Vorurteil ins Wanken bringen. Einer der reichsten Männer, der je ins Weiße Haus eingezogen wäre und der von vermögenden Spendern unterstützt wurde, scheiterte letztlich am mehrheitlichen Nein von "Joe Average", dem Durchschnittsamerikaner. Romney, ein in der Formulierung seiner Positionen bis in die Beliebigkeit taktierender, aber gleichwohl integrer Kandidat, konnte eine knappe Milliarde Dollar mobilisieren. Obama kam noch etwas über die Summe hinaus, aber nicht die Gewerkschaften waren seine wichtigsten Unterstützer, sondern Kleinstspender mit Summen von 15, 50 oder 200 Dollar. Das Großkapital kann letztlich doch nicht alles kaufen, zumindest nicht die Macht in Washington.

Aus diesen Gründen war Obamas Arbeitssieg vom 6. November 2012 bedeutsamer und noch geschichtsmächtiger als sein historischer Triumph vom 4. November 2008 - und dies nicht nur für die Afroamerikaner, sondern für das ganze Land, das keiner Neuerfindung, wohl aber einer Modernisierung bedarf. Das betrifft nicht nur die Debatte über gleichgeschlechtliche Ehen, die am Dienstag erstmals und in Übereinstimmung mit der US-weiten Stimmung in drei Bundesstaaten Mehrheiten fand, oder mit der Legalisierung von Cannabis. Obama muss die Finanzen in Ordnung bringen, ohne dabei die Konjunktur abzuwürgen. Das wird nur gelingen, wenn er die aus dem Rahmen geratenen Etats der ineffizienten Sozialprogramme zurückstutzt. Die von Obama eingeschlagene Richtung stimmt. Aber Amerika ist faktisch pleite, und das diktiert die Agenda der kommenden Jahre.