In den Wackelstaaten hat der Präsident bessere Chancen als Romney. Doch der Verlauf der Wahlnacht in den USA birgt viele Unwägbarkeiten.

Hamburg. Die Aussichten für New York: 100,0 Prozent Wahrscheinlichkeit. Kalifornien auch 100,0 Prozent. Texas ebenfalls 100,0 Prozent - allerdings andersherum. Die Umfrage-Experten der "New York Times" haben nicht einmal mehr bei den Nachkommastellen den geringsten Zweifel. So sicher sind sie, dass die Wähler tatsächlich in den Bundesstaaten New York und Kalifornien für Präsident Barack Obama und in Texas für den republikanischen Herausforderer Mitt Romney stimmen werden. Das Rennen um die Präsidentschaft ist quasi bereits ohne das Volk gelaufen - mit einem hauchdünnen Vorsprung für Obama.

Möglicherweise spielt Wunschdenken in die Interpretation der Umfragen hinein. Sowohl die "New York Times" wie auch die "Washington Post" haben sich vehement für Obama ausgesprochen. "Voller Enthusiasmus unterstützen wir Präsident Obama für eine zweite Amtszeit und drücken unsere Hoffnung aus, dass sein Sieg begleitet wird von einem neuen Kongress, der bereitwillig für die Politik arbeitet, die die Amerikaner brauchen." Das war die Quintessenz des Leitartikels, mit dem die "Times" für Obama warb.

Nach den letzten Prognosen erhält Obama 307 Wahlmännerstimmen. 270 wären für eine Wiederwahl erforderlich. Doch schon am Beginn der Wahlnacht kann es ganz anders laufen. Fällt Florida an Romney, wo der Herausforderer derzeit eine leichte Führung hat, und schnappt er sich auch Ohio - dann geht im Präsidentenlager das große Zittern los.

Obama zieht sich heute dorthin zurück, wo sein politischer Aufstieg begann. In Hamburgs Partnerstadt Chicago verfolgt er mit seiner Familie den Wahlabend. Hier will er wie im Jahr 2008 seinen Wahlsieg verkünden. Romney soll in Boston den Wahlabend verbringen, wo er 2002 Gouverneur von Massachusetts wurde. Eine der entscheidenden Fragen ist: Wer von den vielen Wahlmüden im Land geht noch an die Automaten zur Stimmabgabe, wenn das Rennen vermeintlich gelaufen ist? Oder wenn Romney wie erwartet in Führung geht, ehe im Laufe der Nacht von Ost nach West wieder die sicheren Obama-Staaten hochgerechnet sind?

Die Experten haben dafür zwei Szenarien: Erstens kann es sein, dass viele dann gar nicht mehr wählen gehen. Zweitens ist es möglich, dass, wenn die ersten Ergebnisse bekannt werden, die Wähler erst recht Romney oder Obama verhindern wollen. So kann eine Prognose voll bestätigt oder ein erwartetes Ergebnis verhindert werden.

Beispiel Ohio: 18 Wahlmännerstimmen sind hier zu verteilen. Um Ohio dreht sich alles, gab Romney zu. Die "New York Times" übertrieb nicht, als sie schrieb: "Ohio nimmt eine so zentrale Rolle bei der Wahl-Mathematik ein, dass der Staat jetzt genauso wichtig zu sein scheint wie die übrigen 49 Staaten zusammen."

Beispiel Florida: Die 29 Wahlmänner kann Romney eigentlich fest verbuchen. Rentner und Latinos sorgen für ein republikanerfreundliches Klima. Obama konnte mit seiner Gesundheitsreform hier aber punkten. Den Ausschlag werden vermutlich die Latinos im Sonnenstaat geben, die allerdings kein einheitliches Wahlverhalten für Republikaner oder Demokraten zeigen. Allerdings neigen sie eher dem Herausforderer Romney zu. Nur ob sie in der Mehrheit überhaupt wählen gehen, das ist fraglich. Ähnlich sieht es bei den amerikanischen Frauen aus, die 2008 in der Mehrheit Obama wählten. In diesem Jahr wollen die Wählerinnen in den Swing States aber je zur Hälfte für Obama und Romney votieren. Das haben die Umfragen gezeigt. In dieser Wählergruppe hat Obama seinen Vorsprung verloren.

"Er ist ein glücklicher Krieger", sagte der Chicagoer Bürgermeister Rahm Emanuel über Obama, dem er früher als Stabschef diente. Beide sind seit Langem befreundet. Doch Emanuel ist klar, dass Obama mit dem Kampf gegen Romney möglicherweise zu spät begonnen hat. Erst nach der ersten Fernsehdebatte ist er aufgewacht und hat seinen Herausforderer stärker attackiert. Diesen Kampfgeist wollten seine Anhänger früher sehen.

Obama scheint kampagnenmüde. "Das ist meine letzte Wahlkampfrede, mein letzter Auftritt, meine letzte Debatte." Das sind Obamas Standardworte bei seinen Auftritten in den letzten Tagen vor der Wahl. Das ist richtig. Denn noch einen Wahlkampf wird Obama nicht machen. Als Präsident kann er nicht ein drittes Mal gewählt werden. Und sollte er verlieren, wird es keinen weiteren Anlauf auf das Weiße Haus für ihn geben.

In Cleveland, Ohio, fragte Obama einen Hühnchen-Verkäufer, wie das Geschäft so läuft. "Schlecht, seit Sie da sind", antwortete der Mann. Das wurde dahingehend interpretiert, dass er ein Obama-Gegner ist. Doch der Mann, verriet er später der Lokalzeitung, wollte nur darauf hinweisen, dass die Obama-Mannschaft und die Blockade seines Geschäfts ihm nur an diesem Tag den Profit verhagelt habe.

Und auch der Supersturm "Sandy" hat mittelbaren Einfluss auf die Wahl. Generatoren müssen aufgestellt werden, um manche Wahllokale im Nordosten des Landes überhaupt funktionsfähig zu machen. In den Bundesstaaten New Jersey und New York gaben sich Vertreter der Wahlbehörde vorsichtig zuversichtlich, dass es am Wahltag zu keinen größeren Problemen kommen werde. Doch welchen Einfluss haben Stromausfälle und die Zerstörungen durch den Sturm auf die Wahlbeteiligung? In New York City müssten 59 der 1256 Wahllokale verlegt oder geschlossen werden, sagte eine Sprecherin der Wahlbehörde. Das betreffe vor allem Gebäude in den Stadtteilen Queens und Brooklyn, die als Notunterkünfte genutzt werden.

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