Sogar New Jerseys republikanischer Gouverneur Chris Christie lobt US-Präsidenten Barack Obama nach dem Hurrikan “Sandy“ öffentlich.

Washington. Wäre das Elend an der Küste New Jerseys nicht so groß, die Begrüßungsszene von Barack Obama und Chris Christie ließe sich als Laurel-and-Hardy-Hommage entschlüsseln: Der Handschlag des schlaksigen Präsidenten samt Schulterschlag für den fettleibigen Gouverneur vor "Air Force One" markierte den Beginn einer von "Sandy" gestifteten Versöhnung zwischen Männern, die Tage zuvor politisch verfeindet gewesen waren. Statt verbaler fliegender Sahnetorten, wie sie im slapstickartig beleidigenden Wahlkampf gängig sind, gab es artig ausgetauschte Komplimente und Gelöbnisse der Zusammenarbeit zum Wohl der geschundenen Bürger. Es schien so einfach, so wohltuend - so richtig.

"Ich kann dem Präsidenten nicht genug danken für seine persönliche Sorge und sein Mitgefühl für unseren Staat", sagte Christie bei einer knappen Pressekonferenz vor einem Notaufnahmelager. Sie hätten ein "großartiges Arbeitsverhältnis", fügte er hinzu, bevor es ihm eine "Ehre" war, das Mikrofon an Obama zu übergeben. "Ihr Gouverneur steht auf meiner Dankesliste ganz oben", erwiderte der Präsident, "Sie sollen wissen, dass er Überstunden für Sie leistet." Sechsmal hätten die beiden seit dem Wochenende konferiert, fünfmal am Telefon, sagte Christie stolz, heute im Hubschrauber und im Wagen; Obama nickte. "Wir sehen uns harten Zeiten gegenüber ..., aber wir kommen wieder auf die Beine, weil wir zusammenstehen und niemanden zurücklassen", sagte Obama. Christie nickte hinter dessen rechter Schulter. Die Szenen dieser Einigkeit, sechs Tage vor dem Ende eines bitteren, oft gehässigen Wahlkampfs, der das Land spaltete und sechs Milliarden Dollar verschlang, haben die Züge eines Wunders.

Bis zum Montag war New Jerseys Gouverneur Mitt Romneys schärfster und loyalster Kämpfer gewesen. Noch vor zehn Tagen spottete Christie an der Seite Romneys über den Präsidenten, der "blind durchs Weiße Haus läuft und nach Erleuchtung sucht": "Wie ein Mann, der mit ausgestreckten Armen im Dunkeln eines Zimmers nach dem Lichtschalter (für Führungsstärke) sucht und ihn nicht findet." Christie gibt den furchtlosen Populisten, der sagt, wie es ist. Zu seinen Standardrügen zählt das korrupte, verschwendungssüchtige Washington unter dem Sozialisten Obama, der die Stimmen von Bedürftigen mit Gaben des Bundes kauft. Dann kam "Sandy", und der Gouverneur erlebte seine Wandlung zum dankbaren Empfänger von Nothilfe: aus dem (gegen den Widerstand der Kongress-Republikaner) mit acht Milliarden Dollar gefüllten Notstandstopf der Katastrophenhilfe Fema.

Während die Bewohner der verwüsteten Küste von New Jersey die Vernunft Obamas und Christies und alle Hilfe, die sie bekommen können, zu schätzen wissen, hält sich die Freude im Team Mitt Romneys in Grenzen. Es ist schwer, neben einem Präsidenten, zu dessen Stärken Coolness und gewähltes Amerikanisch zählen, als Herausforderer zu bestehen. Zwei Tage lang setzte der Republikaner seinen Wahlkampf aus Respekt vor den Opfern des Supersturms aus. Am Mittwoch sammelte er bei einer Kundgebung in Dayton (Ohio) Dosennahrung für das Rote Kreuz; eine gut gemeinte Aktion, die jedoch das American Red Cross ausdrücklich zu unterlassen bittet: Man braucht Geld-, nicht Sachspenden. Ein Reporter von "Buzzwire" berichtete, das Team Romneys habe in einem Walmart selbst für 5000 Dollar eingekauft und die Waren Leuten in die Hand gedrückt, die sie dann vor den Kameras Mitt Romney überreichten. In der Not nach Stürmen und vor Wahlen werden wohltätige Politiker schamlos.

Während Präsident Obama in der Krise mit all seiner Macht leicht gute Figur machen kann, während Chris Christie das Elend seiner Bürger und seine Wiederwahl in einem Jahr im Auge hat, nicht die Wahl am nächsten Dienstag, mag Mitt Romney sich fragen, ob "Sandy" für ihn bedeutet, was 2008 der Lehman-Crash für John McCain bedeutete: den Anfang vom Ende, die Niederlage durch höhere Gewalt. Schon meldete eine Erhebung von "Washington Post" und ABC News, dass acht von zehn Befragten Barack Obamas Reaktion auf die Krise als "gut" oder "exzellent" bewerten. Umfragen in den noch unentschiedenen sogenannten Swing-Staaten Colorado und Iowa zeigen einen leichten Aufwärtstrend für den Präsidenten; in Ohio, dem vielleicht wichtigsten der elf Swing-Staaten, führte er in der jüngsten Umfrage wieder mit fünf Punkten. Das alles bedeutet noch keine Entscheidung. Aber der Vorwärtsdrang Romneys scheint gestoppt.

Umso heftiger stürzte sich der Republikaner in Florida nach der Schamfrist wieder in den Kampf. Zwar nannte Romney selbst den Präsidenten nicht beim Namen und griff ihn nicht direkt an. Das überließ er seinen Vorrednern, namentlich Jeb Bush, dem früheren Gouverneur Floridas: "Obamas ganze Strategie ist, andere zu beschuldigen", rief Jeb Bush aus, "natürlich zuerst meinen Bruder. Aber im Grunde macht er alles und jeden verantwortlich, statt den Anstand zu haben, sich um Gemeinsamkeit zu bemühen." Romney nutzte den Auftritt, um sein Verhältnis zu dem US-Katastrophenschutz Fema zu erläutern. Er verstehe die "Schlüsselrolle", die Fema bei Naturkatastrophen in den Staaten und Gemeinden innehabe, und "als Präsident werde ich sicherstellen, dass sie die Mittel hat, ihre Mission zu erfüllen". Die Klarstellung war nötig: Bei einer der Vorwahl-Fernsehdebatten hatte Mitt Romney darauf gedrängt, den Katastrophenschutz an die Staaten zu übergeben oder "am besten an die Privatwirtschaft". Kommende Generationen mit den Schulden für die Verschwendung des Bundes zu belasten sei unverantwortlich. Es steht jedermann vor Augen, dass New Jersey weder das Gerät noch das Geld hätte, sich zu helfen. Also umarmt Mitt Romney nun Fema. Ihm glaube, wer will.

Nicht mehr Glück hat der Kandidat mit einem Wahlspot, der behauptet, Obama habe "Chrysler an die Italiener verkauft, die nun die Jeep-Produktion nach China verlagern". Chrysler protestierte entrüstet gegen solche "Fantasien", es würden nur zusätzliche Kapazitäten in China geschaffen, wie es jede globale Automarke halte. Es würden im Gegenteil im Jeep-Werk in Toledo, Ohio, 1100 neue Stellen geschaffen. Vizepräsident Joe Biden, nicht an die Krisenpietät gebunden wie Obama, nannte den Spot nicht zu überbieten an "ungeheuerlicher Unehrlichkeit". General Motors sah sich gezwungen, Behauptungen Romneys abzuwehren: Der Kandidat betreibe "zynische Wahlkampfpolitik der übelsten Art". Es ist das erste Mal, dass betroffene Dritte Klage über Unwahrheiten führen. "Wenn Sie glauben, ich gäbe in dieser Zeit einen Pfifferling auf den Präsidentschaftswahlkampf, kennen Sie mich schlecht!", schnaubte Chris Christie auf die Frage, ob er vor dem Dienstag Mitt Romney in New Jerseys Krisengebiet erwarte. Das klingt nach einem Nein.

Unterstützung erhielt der US-Präsident gestern auch von Michael Bloomberg: Der ehemalige Republikaner und heute parteilose New Yorker Bürgermeister rief auf Bloomberg.com zur Wiederwahl von Barack Obama auf, weil dieser die Führerschaft beim Thema Klimawandel habe. Obama habe in den vergangenen Jahren wichtige Schritte für den Umweltschutz eingeleitet, Mitt Romney dagegen in allen wichtigen Bereichen, so auch beim Umweltschutz, den Kurs gewechselt.