Am 17. August wird in Moskau das Urteil gefällt. Angeklagte: „Wir haben mehr Freiheit als diese Leute von der Staatsanwaltschaft“.

Moskau. Die Verteidiger der Moskauer Punkband Pussy Riot hoffen auf ein mildes Urteil für die Gegnerinnen von Kremlchef Wladimir Putin. Die jüngsten Proteste von mehr als 100 Bundestagsabgeordneten sowie von Popstar Madonna könnten die Justiz zum Einlenken bewegen, sagte Anwalt Nikolai Polosow am Mittwoch in Moskau. Mit einer mutigen Schlusserklärung haben sich die Musikerinnen am Mittwoch dem Druck des russischen Staats entgegen gestellt, sich von ihrem Protest gegen Putin Anfang Februar in einer Moskauer Kathedrale zu distanzieren. Richterin Marina Syrowa kündigte die Urteilsverkündung für den 17. August an.

+++Pussy Riot geben mutige Erklärung ab - Urteil vertagt+++

+++Pussy Riot erhebt schwere Vorwürfe gegen Richterin+++

Die Angeklagte Nadeschda Tolokonnikowa (22) verglich das Verfahren mit den politischen Repressionen in den 1930er Jahren unter Sowjetdiktator Josef Stalin. Mit zitternder Stimme sagte Tolokonnikowa zudem: „Mit jedem Tag beginnt eine wachsende Zahl von Leuten zu erkennen, dass, wenn sich die politische Maschinerie gegen Mädchen wendet, die 40 Sekunden in der Christ-Erlöser-Kathedrale aufgetreten sind, dass das nur bedeutet, dass dieses politische System Angst vor der Wahrheit und unserer Ernsthaftigkeit hat.“ Mit einem Blick auf die Ankläger sagte sie: „Wir haben mehr Freiheit als diese Leute von der Staatsanwaltschaft - weil wir sagen, was wir wollen.“ Pussy-Riot-Mitglied Maria Aljochina (24), die wie Tolokonnikowa ein kleines Kind hat, sagte, dass sie keine Gefängnisstrafe fürchte. Ihre „innere Freiheit“ könne ihr niemand nehmen, sagte sie. Die dritte Angeklagte, Jekaterina Samuzewitsch, die an diesem Donnerstag 30 Jahre alt wird, wies die Anklage als „konstruiert“ zurück.

„Russland ist ein nach Westen orientiertes Land. Weil sich die Beziehungen durch ein scharfes Urteil gegen Pussy Riot verschlechtern dürften, erwarten wir einen milden Richterspruch“, sagte Anwalt Polosow. Internationale Künstler und Politiker hatten die Freilassung der Frauen gefordert, die wie Chodorkowski und Lebedew von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International als politische Gefangene anerkennt sind.

Tolokonnikowa, Samuzewitsch und Alechina hatten am 21. Februar in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale gegen Putin protestiert. Seit fünf Monaten sind sie inhaftiert. Mit Skimützen vermummt und in Minikleidern hatten sie ein „Punk-Gebet“ vorgetragen: „Jungfrau Maria, Mutter Gottes, räume Putin aus dem Weg“. Für viele russisch-orthodoxe Gläubige war schon Kleidung und Vermummung Blasphemie. Der Vorfall spaltete die russische Gesellschaft und erregte internationales Aufsehen: Wie gehen der russische Staat und seine Justiz mit Meinungs- und Religionsfreiheit um?

Putin, gegen den Pussy Riot bereits im russischen Protestwinter auf dem Roten Platz demonstriert hatte, sagte am Rande der Olympischen Spiele vergangene Woche, die Strafe gegen die drei jungen Frauen sollte „nicht zu hart“ ausfallen. Die Staatsanwaltschaft schien dem am Dienstag Folge zu leisten, indem sie statt der möglichen Höchststrafe von sieben Jahren drei Jahre Gefängnis forderte. Dabei sei mildernd berücksichtigt, das zwei der Frauen kleine Kinder hätten und sie ein gutes Führungszeugnis bekommen hätten. Polosow sagte, Putins Äußerungen zeigten an, dass „er sie praktisch schon schuldig befunden hat“.

Ein Gericht in Nordrussland reduzierte unterdessen die Haftstrafe für den ehemaligen Geschäftspartner des inhaftierten Kremlkritikers Michail Chodorkowski, Platon Lebedew, um drei Jahre und vier Monate. Der 55-Jährige könnte dadurch bereits am 2. März 2013 freikommen. Lebedews Anwälte kündigten allerdings Berufung gegen den überraschenden Schritt an und forderten die sofortige Freilassung ihres Mandanten. Die Verurteilung der beiden Topmanager zu je 13 Jahren Haft wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Öldiebstahls gilt als politisch motiviert. Bürgerrechtler kritisierten die Strafminderung als Ablenkungsmanöver.

Die prominente Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa hoffte nach der Lebedew-Entscheidung dennoch auf Freiheit für Pussy Riot. Allerdings vertagte Richterin Marina Syrowa in Moskau nach einem im Eiltempo durchgepeitschten Prozess unerwartet das Urteil. „Wir sind auch besorgt über Berichte über zunehmende Einschüchterung von Anwälten, Journalisten und möglichen Zeugen“, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel. In Berlin sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter: „Die Bundesregierung ist der Überzeugung, dass eine nachhaltige Modernisierung Russlands nur mit einer vielfältigen und offenen Zivilgesellschaft gelingen kann.“

Mit Material von dpa/dapd