Halbinsel an der Grenze zu Israel und dem Gazastreifen ist Tummelplatz für Terrorgruppen geworden. Beduinen unterstützen militante Islamisten.

Hamburg. Ägypten hat blutige Rache geschworen. Nach dem Massaker an 16 ägyptischen Grenzsoldaten auf der Sinai-Halbinsel am Sonntagabend erklärte die Regierung in Kairo die flüchtigen Täter zu "Feinden der Nation" , gar zu "Ungläubigen", und entsandte Kampfhubschrauber sowie Spezialeinheiten. Bis zu 30 Militante könnten noch auf der Flucht sein.

Beim bislang schwersten Attentat auf die ägyptische Armee hatten die schwarz gekleideten Extremisten den kleinen Militärposten am Grenzübergang Karm Abu Salem gestürmt, 16 Soldaten erschossen und sieben verletzt. Die Opfer hatten keine Chance: Nach Sonnenuntergang hatten sie zusammengesessen, um das Mahl zum Fastenbrechen im Ramadan einzunehmen.

Mit einem erbeuteten Militärfahrzeug und einer halben Tonnen Sprengstoff rissen die Täter anschließend ein Loch in den Grenzzaun zu Israel; mit einem gepanzerten Transporter drangen sie dann auf israelisches Gebiet vor. Doch Israels Streitkräfte waren aufgrund von Geheimdienstinformationen vorbereitet; ein Kampfjet verwandelte den Transporter in einen Feuerball. Auch Panzer und Artillerie kamen gegen die mit Sprengstoff, Granaten und automatischen Gewehren schwer bewaffneten Eindringlinge zum Einsatz. Acht Terroristen starben.

+++ Moslembrüder und Hamas beschuldigen Israel +++

Israel hatte offenbar die ägyptischen Behörden vor einem bevorstehenden Attentat gewarnt; doch die Ägypter hatten nicht reagiert. Sie argwöhnten, Israel wolle mit derartigen Warnungen Touristenströme ins israelische Eilat umleiten.

Nun steht Ägypten unter Handlungszwang. Seit dem Sturz des autokratisch herrschenden Dauer-Präsidenten Husni Mubarak vor 18 Monaten hat sich der 60 000 Quadratkilometer große Sinai, der damit fast so groß ist wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein zusammen, in ein Operationsgebiet von islamistischen Terrorgruppen und militanten Beduinen verwandelt. Mindestens 15-mal wurde seitdem die nach Israel und Jordanien führende Gaspipeline gesprengt; es kam zu einer Reihe von Attentaten und Angriffen. Vor einem Jahr hatten Terroristen, aus dem Sinai kommend, nördlich von Eilat acht Israelis ermordet. Mehrfach hat die israelische Regierung Kairo aufgefordert, endlich für Sicherheit im Sinai zu sorgen. Israel hatte die Halbinsel im Sechstagekrieg 1967 erobert und sie bis 1982 an Ägypten schrittweise zurückgegeben. Der Sinai hat durchaus erhebliche wirtschaftliche Bedeutung: Es gibt dort Erdöl und Manganerz, zudem baut Kairo den Tourismus zügig an der "Riviera des Nahen Ostens" aus.

Nun will Ägypten mehr Truppen auf der Halbinsel stationieren als die mit Israel vereinbarten sieben Bataillone. Die israelische Regierung, ebenso interessiert an einem ruhigen Sinai wie die ägyptische, hat zugesagt, die Anfrage zu prüfen. Verteidigungsminister Ehud Barak sagte, er hoffe, der Anschlag wirke auf Kairo als "Weckruf", die Kontrolle über den Sinai wiederzuerlangen.

Die ägyptische Regierung hat auf dem Sinai ein doppeltes Problem. Zum einen tummeln sich dort allerlei radikalislamische Gruppen - teilweise palästinensischer Herkunft oder auch proiranisch aktive -, zum anderen leben in dieser Region mehr als eine halbe Million Beduinen, die sich seit Langem von Kairo massiv diskriminiert fühlen. Sie dürfen nicht in Militär und Polizei dienen, werden oft von Sicherheitskräften drangsaliert und von einträglichen Posten im Tourismus-Geschäft ausgeschlossen. Kaum jemand von ihnen besitzt einen Ausweis. Offenbar machen manche Beduinen nun gemeinsame Sache mit militanten Islamisten.

Nach Angaben des US-Magazins "Time" haben Beduinenführer im Nordsinai das Auftauchen einer Islamistengruppe namens Taufik wal Hijra gemeldet, die lose mit al-Qaida verbunden sei. Bei dem Überfall auf den ägyptischen Grenzposten wollen Anwohner der nahe gelegenen Siedlung Huriya sowohl Mitglieder von Taufik wal Hijra als auch vereinzelt einen palästinensischen Dialekt identifiziert haben. Durch den Sinai laufen die Nachschublinien palästinensischer Terror-Organisationen wie Hamas, Islamischer Dschihad, Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando und Al-Aksa-Brigaden. Unweit des Tatortes treffen der von der radikalislamischen Hamas beherrschte Gazastreifen, Ägypten und Israel aufeinander.

Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi - sowohl Islamist als auch demokratisch gewählt - will die Mörder "teuer bezahlen" lassen für ihre Taten. Er wird mittel- und langfristig wesentlich mehr unternehmen müssen als bloße Militäroperationen, um den unruhigen Sinai zu befrieden. Lange Zeit war der Sinai selbst für die israelischen Geheimdienste eine Art schwarzes Loch - man wusste wenig über die Vorgänge auf der Halbinsel. Nach massiven Warnungen von Experten hatte Israel seine Aufklärung im Sinai wieder intensiviert. Zudem baut Israel einen 230 Kilometer langen Sicherheitszaun zum Sinai. Israelische Geheimdienstoperationen im Sinai sind von höchst delikater Natur, denn die ohnehin kühlen Beziehungen zwischen Ägypten und Israel haben sich seit dem Sturz Mubaraks, der die schwierige Nachbarschaft pragmatisch handhabte, dramatisch verschlechtert. Doch obwohl die neue Regierung in Kairo den Israelis alles andere als wohlgesinnt ist, hat sie begriffen, dass die islamistischen Militanten beide Staaten in einen Konflikt stürzen wollen, der die ganze Region in Brand setzen könnte.