Erneut schlagen Unbekannte zwei russische Journalisten brutal zusammen. Weil sie kritisch berichteten. Nun will der Präsident handeln.

Moskau/Hamburg. Die beiden Männer, die Oleg Kaschin fast zu Tode prügelten , hatten Blumen mitgebracht. Und Baseballschläger. Sie kamen in der Nacht und lauerten dem bekannten russischen Journalisten vor seinem Apartment in Moskau auf. Dann ging alles ganz schnell. Minutenlang schlugen die Unbekannten auf Kaschin ein. Sie brachen ihm die Kiefer, die Oberschenkel und die Finger. Geld, Dokumente oder andere Wertsachen beachteten sie nicht weiter. Es interessierte sie nicht. Es ging nur um die Einschüchterung. Videos der Überwachungskamera beweisen die blutige Tat. Der Blumenstrauß, den die Täter in der Hand hielten, sollte Vertrauen schaffen. Er sollte den Überfall für Kaschin nicht vorhersehbar machen. Denn mit der Gewalt müssen kritische Journalisten in Russland rechnen. Vor allem in der Nacht.

Noch immer liegt der Journalist der liberalen Tageszeitung "Kommersant" im künstlichen Koma - und wieder wurde ein Reporter überfallen. Erneut kamen die Täter in der Nacht. Unbekannte haben laut Augenzeugen Anatoli Adamtschuk in einem Vorort von Moskau aufgelauert. Er erlitt ein Schädeltrauma und eine Gehirnerschütterung.

Was Kaschin und Adamtschuk eint, sind ihre kritischen Artikel. Kaschin hatte mehrfach über einen umstrittenen Autobahnbau durch den Chimki-Wald bei Moskau berichtet. In der Vergangenheit waren mehrere Gegner des Projekts zusammengeschlagen worden. Im Verdacht stehe die Kreml-nahe Jugendorganisation Junge Garde, die Kaschin im August auf ihrer Internetseite als "Informations-Saboteur" beschimpft und mit "Bestrafung" bedroht hatte. Eine heiße Spur gibt es aber noch nicht. Adamtschuk, der für die Zeitung "Schukowski Westi" arbeitet, schrieb kritisch über den Bau einer Autobahn zu einem Flughafen bei Moskau, auf dem die bekannte Luftfahrtmesse Maks stattfindet. Für die Schnellstraße soll ein Wald abgeholzt werden.

Journalisten und Aktivisten werden in Russland immer wieder Opfer von Angriffen. Im Oktober 2006 war die kremlkritische Journalistin Anna Politkowskaja im Treppenhaus ihres Moskauer Wohnhauses erschossen worden. Nach Angaben des in New York ansässigen Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) gab es seit 2000 mindestens 18 nicht aufgeklärte solche Morde. Schon lange herrscht in Russland eine Kultur der Straflosigkeit.

Doch jetzt scheint der Kreml entschlossen gegen die Gewalt vorgehen zu wollen. Präsident Dmitri Medwedew übertrug dem Generalstaatsanwalt und dem Innenminister die Leitung der Ermittlungen im Fall Kaschin. Die Täter müssten gefunden und bestraft werden, sagte der Präsident. Und geht noch weiter: Wegen der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung ihrer Arbeit müssten Journalisten besser geschützt werden als andere Berufe. Dafür müsse der Staat Sorge tragen.

Noch zuvor hatte Medwedew überraschend ein Gesetz zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit gekippt. Er legte sein Veto gegen das bereits vom Parlament beschlossene Gesetzesprojekt ein, das Proteste von Oppositionellen weiter einschränkt. "Es zeigt, dass wir uns nicht nur auf dem Papier auf europäische demokratische Standards zubewegen", sagte der prominente Bürgerrechtler Lew Ponomarew. Es sind kleine Schritte in eine Zukunft, in der kritische Journalisten in Russland nicht mehr mit Überwachungskameras an ihren Wohnungen leben müssen.