“Eine höhere Macht wird schon bald über al-Megrahi richten“, sagte der schottische Justizminister Kenny MacAskill, nachdem er den Lockerbie-Attentäter begnadigt und nach acht Jahren Haft gestern vorzeitig in die Freiheit entlassen hatte.

Hamburg. Der 57-jährige Libyer Abdel Basset al-Megrahi leidet an Prostata-Krebs im Endstadium. Mit dem Privatjet des Staatsoberhaupts Muammar al-Gaddafi flog er vom Glasgower Flughafen aus in seine Heimat. Al-Megrahi war 2001 wegen des Terroranschlags auf eine PanAm-Maschine über dem schottischen Örtchen Lockerbie zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bei dem Attentat im Dezember 1988 kamen 270 Menschen ums Leben, die meisten waren Amerikaner.

Es war einer der schlimmsten Terroranschläge in Großbritannien. Entsprechend nervös war Justizminister MacAskill, als er die umstrittene Begnadigung vor Journalisten begründete. Er habe al-Megrahi aus rein humanitären Erwägungen begnadigt, betonte MacAskill. Sicherlich habe der Verurteilte seinen Opfern gegenüber keine Menschlichkeit gezeigt. Er sei sich darüber im Klaren, dass es in diesem Fall "sehr tiefe Emotionen" gebe und dass viele seine Entscheidung nicht gutheißen würden, sagte MacAskill weiter. Dennoch habe er sich für einen Schritt der Humanität entschieden, der in der schottischen Tradition fest verankert sei.

MacAskill versuchte zu rechtfertigen, was viele empörte. US-Außenminister Hillary Clinton hatte im Vorfeld hartnäckig versucht, die Begnadigung zu verhindern. "Die USA bedauern die Entscheidung der schottischen Behörden tief", hieß es entsprechend in einer Stellungnahme des Weißen Hauses. Die US-Regierung habe mehrfach deutlich gemacht, dass sie gegen eine Freilassung des Terroristen sei. Das Mitgefühl gelte nun den Familien der Opfer, "die jeden Tag mit dem Verlust ihrer Lieben leben müssen". Allerdings löste nicht allein die Frage, ob ein verurteilter Massenmörder Gnade verdient, Empörung aus. Hinterbliebene und britische Parlamentsabgeordnete vermuten, dass dahinter Wirtschaftsinteressen zwischen Großbritannien und dem ölreichen Libyen stecken.

"Hier geht's um Öl", sagte etwa Susan Cohen, deren 20-jährige Tochter bei dem Attentat starb, dem Sender "Foxnews". "Es stecken schmutzige Geschäfte dahinter", ist sich auch die Abgeordnete der schottischen Nationalisten, Christine Grahame, sicher. "Ob jemand im Golf von Sidra nach Öl bohren darf, sollte keinen Einfluss auf einen solchen Kriminalfall haben", sagte der Earl of Onslow, ein konservativer Abgeordneter, dem "Guardian".

Libyen war wegen seiner Unterstützung des internationalen Terrorismus jahrzehntelang isoliert, die USA sprachen lange von einem "Schurkenstaat". Doch seit der ehemalige britische Premier Tony Blair bei einem Besuch vor fünf Jahren Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi die "Hand der Freundschaft" reichte, liefen die Geschäfte mit Libyen wieder an. Die Ölfirmen BP und Shell, die einst vertrieben wurden, kehrten dorthin zurück.

Blairs Nachfolger Gordon Brown traf mit Gaddafi auf dem G8-Gipfel im Juli in Italien zusammen. Damals ließ die britische Regierung verlauten, dass sich die Beziehungen mit Libyen "in den kommenden Jahren noch verstärken" sollen. Da Gaddafi auf sie gepocht hatte, könnte al-Megrahis Freilassung in dieser Hinsicht förderlich sein.