Die Bundeskanzlerin hat beim G20-Gipfel Papandreou die Pistole auf die Brust gesetzt - und fordert jetzt ein schnelles Ja zum Hilfspaket.

Cannes. Alles wankt - das war ein paar Stunden lang das dominierende Gefühl beim G20-Gipfel in Cannes. Dabei hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit Gipfelgastgeber Nicolas Sarkozy alles dafür getan, den mächtigsten Staaten der Welt ein gemeinsam agierendes Europa zu präsentieren. Dieser Plan war gescheitert - in dem Moment, als der griechische Ministerpräsident am Montagabend angekündigt hatte, sein Volk über die Sparmaßnahmen abstimmen zu lassen.

Am Donnerstagnachmittag knickte Giorgos Papandreou aber auf Druck der anderen Gipfelteilnehmer wieder ein: Er zog seinen umstrittenen Plan zurück. Und am späten Donnerstagabend sagte Merkel: "Für uns zählen Taten." Und was die weitere Lage in Griechenland betrifft, sei noch nicht "ganz ersichtlich, was passieren soll". Auf jeden Fall müsse es ein schnelles Ja zu den Beschlüssen geben, sonst könne das verloren gegangene Vertrauen nicht wiederhergestellt werden. Merkel hatte zwar klargemacht, dass die Beschlüsse des Brüsseler Gipfels unverändert gelten würden - ungeachtet einer Volksabstimmung darüber in Griechenland. Dennoch wurde hinter den dicken Betonmauern des Palais de Festival in Cannes zeitweise alles neu gedacht: So wurden Merkels Unterhändler nach Informationen der "Welt" von G20-Partnern mit dem Anliegen konfrontiert, die Europäische Zentralbank (EZB) müsse in dieser Situation erneut Anleihen von Schuldenstaaten aufkaufen.

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Diese Praxis hatte Merkel mit dem Brüsseler Ergebnis beendet. Sie setzte stattdessen auf den Rettungsschirm EFSF, der mit Einlagen von Fremdinvestoren auf Billionenniveau "gehebelt" werden sollte. Die Unsicherheit über das griechische Referendum machte aber den Einstieg von Dritten zeitweise unwahrscheinlicher. Deshalb forderten G20-Partner in Cannes wieder ein Engagement der EZB. Wie die "Welt" erfuhr, brachten Frankreich, Italien, die Vereinigten Staaten und die EU-Kommission diese Forderung vor - Deutschland wehrte sich. Von europäischer Einigkeit konnte bei den G20-Staaten keine Rede mehr sein.

Die hektische Betriebsamkeit, die in Cannes herrschte, war ablesbar an den Laufwegen, die die Bundeskanzlerin zurücklegte. Am frühen Morgen traf sie entgegen der ursprünglichen Planung mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammen, nachdem das Treffen mit ihm am Vortag in Berlin wegen der vorgezogenen Abreise der Kanzlerin zum Euro-Krisentreffen in Cannes hatte verkürzt werden müssen.

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Danach eilte sie zu einem Treffen der Frankfurter Gruppe mit Vertretern Italiens und Spaniens, um wenigstens kurz auf einem Handshake-Foto dabei zu sein. Die Besprechung selbst ließ sie aus, da US-Präsident Barack Obama bereits wartete. Obama versicherte der Kanzlerin, er wünsche einen starken Euro und eine rasche Lösung der Krise. "Ich setze mich voll für euren Erfolg ein", soll Obama beteuert haben. Merkel eilte weiter zu Italiens Premier Silvio Berlusconi. Sie mahnte an, dass Italien zügig Maßnahmen zur Konsolidierung seiner Finanzen ergreifen möge.

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Dann hastete sie zum ersten offiziellen Termin: ein Arbeitsmittagessen des G20-Gipfels zur "Global Economic Situation". So ging es nicht nur Merkel. Obama fiel gar nur die ungewohnte Rolle eines Nebendarstellers bei diesem Gipfel zu - ein sicheres Indiz dafür, dass die Welt aus den Fugen ist. Er traf am Donnerstagmorgen noch vor seinem Termin mit Angela Merkel mit Gastgeber Nicolas Sarkozy in Cannes zusammen, wurde vom französischen Präsidenten aber rasch abgefrühstückt. Die Nachrichtenagenturen meldeten derweil stündlich neue Unannehmlichkeiten aus Athen: Erst am späten Nachmittag kristallisierte sich heraus, dass Papandreou das Referendum zurücknimmt. Am Vorabend hatten Frankreichs Präsident Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit den Vertretern der neuerdings sogenannten Frankfurter Gruppe ins Gebet genommen. Es habe sich um ein "sachliches Gespräch unter Freunden in einer die Freundschaft belastenden Situation gehandelt", hieß es in deutschen Regierungskreisen. Die internationale Tragweite der Entscheidung, das griechische Volk über seine Angelegenheiten abstimmen zu lassen, sei den griechischen Politikern erst in diesem Gespräch wirklich bewusst geworden.

Die Ergebnisse der Runde, an der auch die IWF-Direktorin Christine Lagarde, der EZB-Bank-Vertreter Christian Thimann, Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy teilnahmen, hatten Merkel und Sarkozy um kurz vor Mitternacht am Mittwochabend auf einer Pressekonferenz präsentiert: Die Hilfszahlungen für Griechenland werden zunächst eingefroren, bis "Klarheit" über den griechischen Kurs bestehe.

Die Griechen dürften nicht etwa über die Details des Rettungspakets abstimmen, sondern müssten sich entscheiden, ob sie in der Euro-Zone bleiben wollten oder nicht. Zugleich sollen die beim Gipfel in Brüssel beschlossenen Maßnahmen nun beschleunigt umgesetzt werden. "Wir wollen Griechenland helfen", sagte die Bundeskanzlerin, aber die "einseitige Entscheidung" der Griechen, ein Referendum abzuhalten, habe die "psychologische Situation" nach den Brüsseler Gipfelbeschlüssen verändert. Deshalb könne die für November vorgesehene nächste Tranche der Griechenlandhilfen durch den IWF erst ausbezahlt werden, "wenn positive Entscheidungen gefallen sind". Sarkozy bekräftigte die deutlichen Worte der Kanzlerin: "Es liegt an den Griechen, ob sie das Abenteuer mit uns fortsetzen wollen." Kein Verbleib im Euro ohne Reformen also - bei allem Verständnis für spontane demokratische Bedürfnisse. Den Griechen war damit in aller Freundschaft die Pistole auf die Brust gesetzt worden.

Allerdings sollte gleichzeitig der Anschein vermieden werden, man mische sich in innere Angelegenheiten der Griechen ein. Der Schlüssel zu einer "Regierung der nationalen Einheit", die das Referendum zurücknehmen könnte, lag freilich auch bei Antonis Samaras, dem Führer der Konservativen, der bisher die lebensnotwendigen Reformen blockierte und Papandreou erst zum Verzweiflungsschritt eines Referendums trieb. Schon einmal hatte die Bundeskanzlerin versucht, den Oppositionspolitiker Samaras umzustimmen. Auf einem Treffen der Europäischen Volkspartei, der Gruppe konservativer Parteien, der sowohl Samaras Partei Nea Dimokratia als auch Merkels CDU angehören, redete Merkel gemeinsam mit anderen Parteiführern auf den Griechen ein - vergeblich. Dem Vernehmen nach hat es seit damals aber keinen weiteren Kontakt gegeben. Merkel habe auch am Donnerstag nicht mit Samaras telefoniert.