Der Skandalpolitiker hat die Abstimmung zur Vertrauensfrage gewonnen. Die knappe Mehrheit weckt aber Zweifel an der Regierungsfähigkeit.

Rom. Der politisch angeschlagene italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi kann das hoch verschuldete Euro-Land vorerst weiter regieren. Die Abgeordnetenkammer sprach dem in mehrere Korruptions- und Sexskandale verwickelten Politiker am Freitag das Vertrauen aus. 316 Abgeordneten stimmten für Berlusconi, 301 gegen ihn. Es war seit September 2010 das vierte Mal, dass Berlusconi sich der Rückendeckung des Parlaments versicherte. Experten gehen davon aus, dass der jüngste Abstimmungserfolg dem 75-Jährigen allenfalls eine Atempause von einigen Monaten verschaffen wird. Dann dürfte es im Frühjahr 2012 vorgezogene Parlamentswahlen geben.

Der konservative Mailänder „Corriere della Sera“ prophezeite am Sonnabend der Regierung von Berlusconi ein baldiges Ende: „Die Beharrlichkeit, mit der Silvio Berlusconi seinen parlamentarischen Sieg (bei der Vertrauensabstimmung über seine Regierung) verteidigt, ist vielleicht auch auf das Bewusstsein zurückzuführen, dass er dieses Vertrauen von einem Teil seiner Abgeordneten nicht mehr erhalten wird", heißt es in der Zeitung.

Bis zuletzt war der Ausgang der zweiten Vertrauensabstimmung binnen Monatsfrist offen. Abgeordnete der zerstrittenen Mitte-Rechts-Koalition verfolgten die Sitzung mit großer Nervosität. In Einzelgesprächen bemühte sich Berlusconi bis kurz vor Beginn der Abstimmung um die Unterstützung der Volksvertreter, weil er bei einer Niederlage hätte zurücktreten müssen.

Offene Kritik an Berlusconi äußerte nicht nur die Opposition. So erklärte der Koalitionsabgeordnete Francesco Nucara, er stimme im Interesse des Landes mit Ja, sei aber mit der Politik der Regierung nicht einverstanden. „Sie haben Leute ins Kabinett berufen, die es in einigen Ihrer Firmen nicht mal bis zum Pförtner gebracht hätten.“ Berlusconi hatte die Vertrauensfrage nach einer Abstimmungsniederlage in einer Routineangelegenheit gestellt und den Vorgang als „Unfall„ dargestellt. Mehrere Abgeordnete aus dem Regierungslager, darunter Finanzminister Guilio Tremonti waren der Sitzung am Dienstag ferngeblieben. Das hatte bei Beobachtern die Frage aufgeworfen, ob die Politiker dem Regierungschef einen Denkzettel verpassen wollten.

Politisch steht Berlusconi wegen der hohen Verschuldung und der schlechten Wirtschaftslage unter Druck, der auch in den nächsten Monaten anhalten dürfte. Deshalb erwarten Experten schon bald die nächste Krise. „Die Ängstlichkeit und die Ermüdung der Regierungsmehrheit zeugen nicht von einer Erneuerung“, kommentierte der „Corriere della Sera“ die Lage der Mitte-Rechts-Koalition. Das Regierungsbündnis taumele seinem Ende entgegen und hoffe darauf, nicht vor Jahresende zu stürzen.

Hinzu kommt, dass die italienische Wirtschaft seit Jahren lahmt. Staatspräsident Giorgio Napolitano sowie der scheidende Zentralbankchef und designierte EZB-Präsident Mario Draghi hatten sich deshalb in dieser Woche in die Schar der Berlusconi-Kritiker eingereiht. Draghi warf der Regierung vor, notwendige Reformen verschleppt zu haben. Erfolge bei der Konsolidierung des Haushalts drohten durch höhere Zinsen zunichtegemacht zu werden.

Auch etliche Minister – allen voran Tremonti – sind unzufrieden mit der Amtsführung Berlusconis und den privaten Eskapaden des Regierungschefs. Politikexperten wie Sergio Romano sehen jedoch niemanden innerhalb der Koalition, der bereit ist, den Regierungschef abzulösen. Wenn es eine geschlossene Fraktion in der Regierungspartei Volk der Freiheit mit einer klaren Strategie gäbe, wären die Tages des 75-Jährigen an der Macht gezählt. Berlusconi zeigt sich bislang entschlossen, bis zum regulären Ende des Legislaturperiode 2013 im Amt zu bleiben.

Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Problemen ist Berlusconi wegen seiner privaten Eskapaden in die Kritik geraten. So ist er in vier Korruptions- und Sexprozessen angeklagt.

Mittlerweile droht Berlusconi wegen einer weiteren Sex-Affäre neues Ungemach. Zeitungen warteten mit Enthüllungen über Orgien auf, die den Ausdruck „Bunga Bunga“ weltweit bekanntgemacht haben. In heimlich mitgeschnittenen Gesprächen rühmt sich der 75-Jährige, in einer Nacht Sex mit acht Frauen gehabt zu haben. Wegen seiner sexuellen Aktivitäten, so das Eingeständnis des Medienmoguls und Politikers im Rentenalter, komme er allerdings kaum zum Regieren.

Die Skandale um Silvio Berlusconi

Juli 2003: Berlusconi schlägt dem deutschen Europaabgeordneten Martin Schulz (SPD) vor, bei einem in Italien gedrehten Film über NS-Konzentrationslager in die Rolle des „Kapo“ (KZ-Aufseher) zu schlüpfen. Schulz hatte zuvor die italienische Verzögerungstaktik bei mehreren innen- und rechtspolitischen Themen kritisiert.

Januar 2004: Das italienische Verfassungsgericht kassiert das im Jahr zuvor vom Parlament verabschiedete Immunitätsgesetz („Lex Berlusconi“) für die vier höchsten Amtsträger der Republik.

Dezember 2004: Im Verfahren wegen Richterbestechung spricht ein Mailänder Gericht Berlusconi wegen Verjährung frei.

April 2009: Die Zeitung „La Repubblica“ berichtet, Berlusconi habe die Geburtstagsfeier einer jungen Frau, Noemi Letizia, besucht. Er soll der 18-Jährigen ein kostspieliges Geschenk gemacht haben und von ihr „Papi“ genannt worden sein.

Mai 2009: Berlusconis Ehefrau Veronica Lario reicht die Scheidung ein. Grund sollen die Gerüchte über die Kontakte ihres Mannes zu jungen Frauen sein.

Mai 2009: Eine Prostituierte berichtet der Zeitung „Corriere della Sera“, sie habe gemeinsam mit anderen Frauen an Partys in Berlusconis römischer Residenz teilgenommen und dafür Geld erhalten. Bei einer anderen Gelegenheit habe sie dort die Nacht verbracht.

Juni 2009: Die spanische Zeitung „El País“ veröffentlicht Bilder halb nackter Frauen auf Berlusconis Anwesen in Sardinien.

Oktober 2009: Ein Mailänder Gericht verurteilt Berlusconis Holding Fininvest wegen eines „gekauften Urteils“ beim Erwerb des Verlags Mondadori zu einem Schadenersatz in Höhe von 750 Millionen Euro an den Konkurrenten Cir SpA.

Mai 2010: Berlusconi setzt sich für die minderjährige „Ruby“ ein, nachdem sie unter Diebstahlsverdacht von der Polizei festgenommen wurde. Viele sehen darin einen Fall von Machtmissbrauch.

15. Juni 2010: Das Gericht der Europäischen Union entscheidet, dass Berlusconis Medienkonzern Mediaset und weitere Fernsehsender und Kabelbetreiber staatliche Beihilfen in Millionenhöhe zurückzahlen müssen. Mediaset soll bei der Umstellung von analogem auf digitales Fernsehen 2004 von der italienischen Regierung bevorzugt worden sein.

5. Juli 2010: Nach nur knapp drei Wochen im Amt erklärt der Minister für die Verwirklichung des Föderalismus, Aldo Brancher, vor Gericht, wo er sich wegen Hehlerei in einem Bankenskandal verantworten muss, seinen Rücktritt aus der italienischen Regierung. Berlusconi hatte seinen langjährigen Vertrauten und einstigen Manager seiner Firma Fininvest ins Kabinett geholt, um ihn damit der Justiz zu entziehen. Am 28. Juli wird Brancher wegen Hehlerei zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

17. Oktober 2010: Die Zeitung „La Repubblica“ veröffentlicht einen Bericht über merkwürdige Finanztransfers von Berlusconi. Er soll zwischen 2005 und 2009 mehr als 20 Millionen Euro über eine schweizerische Bank an die Offshore-Gesellschaft Flat Point in Antigua überwiesen haben, wobei der Zweck der Zahlungen als suspekt gilt.

6. April 2011: Vor einem Gericht in Mailand beginnt der Prozess gegen Berlusconi wegen einer Sexaffäre mit einer Minderjährigen und wegen Amtsmissbrauchs. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ministerpräsidenten vor, in 13 Fällen Sex gegen Bezahlung mit der damals 17-jährigen Marokkanerin „Ruby“ gehabt und später seinen Einfluss geltend gemacht zu haben, um den Fall zu vertuschen.

9. Juli 2011: Ein Berufungsgericht in Mailand verurteilt das Familienunternehmen von Berlusconi wegen Korruption zur Zahlung von 560 Millionen Euro an eine Konkurrenzfirma. Bei der Übernahme des Verlags Mondadori sollen Mitarbeiter von Berlusconis Fininvest-Holding einen Richter bestochen haben. Mit seiner Entscheidung bestätigt das Berufungsgericht ein Urteil von 2009 aus einer niedrigeren Instanz. Die Richter reduzieren jedoch den Schadenersatzanspruch von ursprünglich 750 Millionen Euro.

1. September 2011: Der Geschäftsmann Gianpaolo Tarantini wird wegen mutmaßlicher Erpressung von Berlusconi festgenommen. Der Unternehmer hatte eingeräumt, Prostituierte für Partys im Anwesen des Politikers engagiert zu haben. Nun wird er verdächtigt, Schweigegeld für seine Kooperation bei laufenden Ermittlungen gefordert zu haben.

Am selben Tag wird bekannt, dass der Regierungschef in einem abgehörten Telefongespräch über sein Land herzog. „In ein paar Monaten verschwinde ich aus diesem Scheißland, von dem mir schlecht wird“, soll der Regierungschef gepoltert haben. Das sei eines dieser Dinge, die man am späten Abend mit einem Lächeln sage und nicht ernst meine, wurde er kurz darauf von italienischen Medien zitiert.

17. September 2011: Oppositionspolitiker fordern Aufklärung darüber, ob Berlusconi tatsächlich Prostituierte in Regierungsflugzeugen zu seinen Privatpartys eingeflogen habe. Italienische Medien veröffentlichten Mitschriften aus abgehörten Telefonaten, die aus Ermittlungen gegen Tarantini stammen. Dieser soll Frauen für Sex mit Berlusconi bezahlt haben. Den Mitschriften zufolge prahlte Berlusconi damit, in einer Nacht „nur mit acht Frauen“ geschlafen zu haben, als elf vor seiner Zimmertür Schlange gestanden hätten.

27. September 2011: Die Nachrichtenagentur ANSA berichtet, dass Tarantini auf freien Fuß gesetzt wurde. Tarantini war zuvor unter dem Verdacht festgenommen worden, er habe Berlusconi erpresst. Wie ANSA meldet, sah es ein Gericht in Neapel als erwiesen an, dass es sich umgekehrt verhielt und Berlusconi den Unternehmer für Falschaussagen bezahlte.