In Deutschland ist unterdessen die Diskussion um einen Libyen-Einsatz der Bundeswehr entbrannt. Atomares Material in Libyen sicher verwahrt.

Hamburg. Auch am heutigen Freitag werden wieder turbulente Ereignisse in Tripolis erwartet. Lesen Sie hier den aktuellsten Stand im Live-Ticker:

04.50 Uhr: Die politische Vertretung der libyschen Aufständischen hat allen Soldaten und Freiwilligen, die bis jetzt für Muammar al-Gaddafi kämpfen, Straffreiheit versprochen. „Wir rufen euch heute zum letzten Mal auf, eure Waffen niederzulegen, und wir versprechen euch, dass wir keine Rache üben werden. Zwischen uns und euch steht das Gesetz“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des „Kabinetts“ der Revolutionsbewegung, Ali al-Tarhuni

03.16 Uhr: Der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt (CSU), warnt mit Blick auf einen möglichen Stabilisierungseinsatz der Bundeswehr in Libyen vor einer „Ausschließeritis“. „Es kann sein, wenn die Vereinten Nationen, die EU oder die NATO das für notwendig halten, dass man zu Stabilisierungshilfe auch mit militärischen Elementen aufgefordert wird“, sagte Schmidt. Verteidigungsminister Thomas de Maiziére (CDU) rechnet jedoch nicht damit, dass Deutschland zur Beteiligung an einer internationalen Stabilisierungstruppe für Libyen aufgefordert wird. „Ich gehe davon aus, dass die künftige libysche Regierung selbst für die Sicherheit im Land sorgen kann und dazu keine Hilfe von außen braucht“, sagte de Maizière

00.26 Uhr: Die US-Regierung geht nach eigenen Angaben davon aus, dass inmitten der Kämpfe in Libyen atomares Rohmaterial und tödliche Chemikalien dort sicher gelagert sind. Das Außenministerium in Washington erklärte am Donnerstag, heikle Bestandteile des libyschen Atomprogramms seien bereits bis 2009 entfernt worden. US-Geheimdienstmaterial deute darauf hin, dass das verbliebene Urankonzentrat sicher in einer Forschungseinrichtung gelagert und die Bestände von Senf-Wirkstoffen in Bunkern untergebracht seien, sagte Sprecherin Victoria Nuland.

23.48 Uhr: Die Vereinten Nationen haben die Freigabe von 1,5 Milliarden Dollar (1,04 Milliarden Euro) aus dem eingefrorenen Auslandsvermögen des Regimes von Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi beschlossen. Mit dem Geld soll eine humanitäre Krise in Libyen verhindert werden.

Lesen Sie dazu auch: Das Phantom in Tripolis

Mehr als vier Jahrzehnte lang hat Libyens schriller Diktator Muammar al-Gaddafi kaum eine Gelegenheit ausgelassen, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Doch nun ist der 69-Jährige zum Phantom von Tripolis geworden. In bizarren Audiobotschaften, die klingen, als seien sie in einem Wandschrank aufgenommen worden, beschwor er den Widerstand gegen die Rebellen und behauptete, unerkannt durch die Straßen der umkämpften Hauptstadt gewandelt zu sein: "Ich spazierte inkognito herum, niemand bemerkte mich - und ich sah Jugendliche, die bereit waren, ihre Stadt zu verteidigen." In einem Telefoninterview mit einem regimetreuen Sender rief er dazu auf, Tripolis von "Teufeln und Verrätern zu reinigen".

Noch während der Bürgerkrieg weitertobt, läuft die Jagd auf den "Bruder Führer". Gerüchte schwirren durch die Luft - Gaddafi sei noch in seinem Bunker im gewaltigen Festungskomplex Bab al-Asisija, er sei in seiner Heimatstadt Sirte, in Sebha, wo er eine logistische Basis hat, oder längst in Algerien. Der Despot selber behauptete, er sei gar nicht mehr in seinem Bunker, sondern habe sich in einer "taktischen Bewegung" entfernt, nachdem Nato-Bomber die Anlage größtenteils zerstört hätten. Hunderte Todesopfer hat der Endkampf um Libyen bereits gefordert, die Rebellen kontrollieren mehr als 80 Prozent der Hauptstadt und große Teile Libyens. Doch beendet werden kann der Bürgerkrieg mit dem Tod oder der Festnahme Gaddafis.

Ton und Maßnahmen der Rebellenführung sind zuletzt rauer geworden. Hatte der Chef des Übergangsrats, Mustafa Abdel Jalil, vor wenigen Tagen noch eindringlich an die Libyer appelliert, die neue Führung wolle keine Rache, niemand solle das Recht in seine eigenen Hände nehmen, so setzte Jalil nun zwei Millionen Dinar - 1,7 Millionen Dollar - Kopfgeld aus. Diese Summe erhalte dasjenige Mitglied aus Gaddafis innerem Führungskreis, das ihn verrate, ausliefere oder töte. Wer dies tue, erhalte eine Amnestie für "jedes Verbrechen, das er begangen hat".

Doch nicht nur Rebellenkommandos jagen den untergetauchten Gaddafi. Wie der Londoner "Daily Telegraph" berichtete, suchen auch Elitesoldaten der britischen Einheit "Special Air Service" nach dem Despoten. Das mit rund 500 Soldaten aktive Regiment 22 des SAS, der "Mutter aller Spezialeinheiten" und Vorbild etwa für die amerikanische "Delta Force" oder das deutsche KSK, sei in arabischer Kleidung und mit ortsüblichen Waffen unterwegs. Der US-Sender CNN meldete, außer dem SAS seien auch noch Eliteverbände aus Frankreich, Jordanien und Katar im Einsatz in Libyen.

Die aufwendige Suche hat einen gewichtigen Hintergrund. Gaddafi hat 42 Jahre lang das Land auf sich und seine Herrschaft geprägt. Es gibt in der Armee, im Geheimdienst, in den Regierungsbehörden, den staatlichen Unternehmen und auch einigen der 140 libyschen Stämme sehr viele, die von dieser Herrschaft profitiert haben. Muammar al-Gaddafi ist ein Symbol für die ganze von ihm beherrschte Ära - solange er auf freiem Fuß ist, kann ein neues Libyen nicht aufgebaut werden.

Gaddafis Informationsminister Moussa Ibrahim tönte, das Regime könne noch "Monate und Jahre weiterkämpfen. Tripolis ist nicht das ganze Libyen. Wir haben noch Dutzende Städte unter unserer Kontrolle." Zunächst wolle man Tripolis von den Rebellen befreien - und dann "das ganze Land". Gaddafi, so hieß es gestern, sei mit zehn Milliarden Dollar untergetaucht. "Es gibt hier echte Ähnlichkeiten zu Saddam Hussein", sagte Julian Lindley-French, Strategieexperte in der Londoner Denkfabrik Chatham House, dem Londoner "Guardian". Saddam, der Tyrann von Bagdad, hatte den Irak von 1979 bis zum Einmarsch der US-Truppen im März 2003 mit unglaublicher Brutalität beherrscht. Mehr als eine Million Menschen starben in den von ihm angezettelten Kriegen gegen den Iran und Kuwait, rund 300 000 Iraker ließ er im Inneren ermorden. Er tauchte ebenfalls unter und wurde von US-Truppen am 13. Dezember 2003 völlig verdreckt aus einem Erdloch unweit seines Heimatortes Tikrit gezogen. Für den schwierigen Neuaufbau des Irak war seine Ergreifung wichtig. Saddam wurde am 30. Dezember 2006 nach einem langwierigen Prozess - verteidigt unter anderem von Gaddafis Tochter Aisha - bei Bagdad hingerichtet.

Zehn Jahre lang jagte die US-Regierung ihren Staatsfeind Nummer eins, Osama Bin Laden. Der Drahtzieher des Massenmordes vom 11. September 2001 wurde in der Zwischenzeit zu einem lebenden Symbol der Dschihadisten, zur Ikone des militanten Islamismus. Als US-Navy-SEALs ihn in seinem festungsartigen Anwesen im pakistanischen Abbottabad aufspürten und erschossen, trafen sie jedoch einen graubärtigen Greis an, der nichts mehr mit dem heroischen Image zu tun hatte, das al-Qaida propagierte. Das Terrornetzwerk wurde durch den Tod seines spirituellen Führers erheblich geschwächt.

Auch der Prozess vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal gegen Slobodan Milosevic, der Serbien bzw. Jugoslawien von 1989 bis Oktober 2000 mit eiserner Hand beherrschte und mit seinem militanten Nationalismus die Jugoslawien-Kriege auslöste, war wichtig, um Serbien einen Neuanfang zu ermöglichen. Milosevic ist bislang der einzige Präsident eines Staates, der noch im Amt von einem Kriegsverbrechertribunal angeklagt wurde. Er verstarb noch während des Prozesses im März 2006.

Für die Aussöhnung in Bosnien war die Verhaftung des ehemaligen Serbenführers Radovan Karadzic und seines Militärchefs Ratko Mladic psychologisch sehr wichtig. Diese beiden Milosevic-Vertrauten und Verantwortlichen unter anderem für das Massaker von Srebrenica mit 8000 Toten waren ebenfalls nur noch Schatten ihrer einst furchterregenden Persönlichkeiten, als sie gefasst und nach Den Haag ausgeliefert wurden. Es ist nicht zuletzt diese Erkenntnis, dass sich hinter den Herren absoluter Macht über Leben und Tod oft erbärmliche Persönlichkeiten verbergen, die ihre Anhänger schließlich zum Umdenken veranlassen kann.