Sowohl die Bodentruppen als auch die Luftwaffe Gaddafis setzen den Aufständischen hart zu. Die Uno befürchtet 400.000 Flüchtlinge.

Hamburg. Mit verstärkten Angriffen seiner Luftwaffe sowie von gepanzerten Bodentruppen versucht das Regime des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi weiterhin, die von den Aufständischen besetzten Gebiete und Städte zurückzuerobern. Die Auseinandersetzung wird immer mehr zu einem blutigen Bürgerkrieg mit Tausenden Todesopfern.

Hatte Gaddafi zu Beginn des Konfliktes noch nicht seine militärischen Möglichkeiten voll eingesetzt, so rücken seine Bodentruppen jetzt mit massiver Unterstützung von Hubschraubern, Kampfflugzeugen und Panzern vor. Im Westen konzentrierten sich die Kämpfe auf die nach Tripolis und Bengasi drittgrößte Stadt Misrata, wo Häuserkämpfe tobten, sowie auf al-Sawija. Nach einem Bericht der BBC behaupteten Anwohner in Misrata, die Gaddafi-Truppen hätten Apotheken zerstört, um eine Versorgung verwundeter Rebellen zu unterbinden. Die Schlacht um Misrata sei "ein Blutbad" gewesen und habe acht Stunden gedauert. Die Uno-Nothilfskoordinatorin Valerie Amos forderte angesichts von Verletzten und Sterbenden einen Zugang für internationale Hilfsorganisationen.

Im Osten, der weitgehend von den Rebellen kontrolliert wird, wurde um Bin Dschawad an der Mittelmeerküste gekämpft, das angeblich an die Armee zurückgefallen ist. Offenbar gab es viele Verwundete, die in das Hunderte Kilometer entfernte Bengasi transportiert werden mussten. Libyen ist mit 1 775 500 Quadratkilometern Fläche rund fünfmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, die Versorgungswege sind entsprechend länger.

Die Rebellen, unter ihnen übergelaufene Soldaten der regulären Armee, haben sich Waffen aus eroberten Armee-Depots besorgt. Den Bodentruppen des Regimes können sie vor allem in den Städten per Häuserkampf einen zähen Widerstand entgegensetzen, doch den Angriffen der libyschen Luftwaffe sind sie schutzlos ausgeliefert. Die Luftwaffe zählte stets zu den von Gaddafi bevorzugten Eliteeinheiten; ihre Munitionsdepots sind randvoll.

Die strategisch bedeutende Ölhafenstadt Ras Lanuf am Mittelmeer mussten die Regimegegner offenbar schon aufgeben, nachdem die Luftwaffe starke Angriffe geflogen hatte. Nach Meldung eines BBC-Reporters vor Ort benutzen die Gaddafi-treuen Truppen Zivilisten als menschliche Schutzschilde gegen die Aufständischen.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte in Brüssel über das Vorgehen der Truppen Gaddafis: "Diese weit verbreiteten und systematischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung können Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen." Er könne sich nicht vorstellen, dass "die internationale Gemeinschaft und die Uno dabei untätig zusehen", warnte der Chefpolitiker der Atlantischen Allianz.

Die Zahl der Menschen, die bereits vor der Gewalt aus Libyen geflohen sind, liegt derweil schon bei mehr als 213 000. Es handelt sich vor allem um Gastarbeiter, zum Beispiel aus Ägypten und Tunesien. Die Vereinten Nationen befürchten, dass sich die Zahl der Flüchtlinge auf 400 000 verdoppeln könnte. Ferner könnten weitere 600 000 Menschen innerhalb des Landes auf Nothilfe angewiesen sein. Die Uno bat um Spenden in Höhe von 160 Millionen Dollar (114 Millionen Euro), um die Not der Zivilisten zu lindern.

Der frühere tschechische Staatspräsident Vaclav Havel sagte der Zeitung "Hospodarske Noviny", die ganze Welt habe Gaddafi lange für einen kuriosen Clown gehalten, tatsächlich sei er aber ein "verrückter Verbrecher".

Der Vorsitzende des Nationalrats der Rebellen, Mustafa Abdul Dschalil, sagte, man würde sogar auf eine Strafverfolgung Gaddafis verzichten, falls er aufgibt und das Land verlässt.

Doch daran scheint der Diktator, der sich in einem riesigen Kasernenkomplex in Tripolis verschanzt hält, nicht zu denken. Wie die Staatengemeinschaft, vor allem der Westen, den libyschen Aufständischen helfen kann, ist umstritten. Zwar laufen Vorbereitungen der USA und der Nato zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen, um Gaddafis Luftwaffe am Boden zu halten. Doch gibt es gegen diese Maßnahme erheblichen Widerstand. Zum einen ist dafür ein Uno-Mandat nötig - das angesichts des Widerstandes der Veto-Mächte China und Russland wenig wahrscheinlich ist. Zum anderen wird für den Fall westlichen Eingreifens eine militärische Eskalation des ganzen Konfliktes befürchtet. Denn zunächst müsste die libysche Luftabwehr ausgeschaltet werden.

Eine andere Option, die derzeit diskutiert wird, ist die Lieferung moderner Waffen an die Rebellen. Der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im US-Senat, John Kerry, sagte in Washington, Waffen würden "in den nächsten Wochen ihren Weg auf die eine oder andere Weise" nach Libyen finden. Auch der Sicherheitsberater des früheren US-Präsidenten George W. Bush, Stephen Hadley, sowie der ehemalige Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen, Bill Richardson, sprachen sich für derartige Waffenlieferungen an die Aufständischen aus. Richardson empfahl, dies solle dann aber heimlich geschehen.