Im Jahre 2009 waren mehr als 43 Millionen Menschen in den USA von Armut betroffen. Ein Rekord - die Tendenz ist weiter steigend.

Hamburg/Washington. Las Vegas ist "Sin City", das Sündenbabel im Wüstenstaat Nevada, eine glitzernde Metropole der Kasinos und ultraluxuriösen Megahotels, von denen ein einziges mehrere Milliarden Dollar kosten kann. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts noch die am schnellsten wachsende Agglomeration der USA, ist die Stadt heute zu einer Hochburg der Arbeitslosigkeit und der Armut geworden.

13 000 Menschen sind obdachlos - und es werden ständig mehr. Mehrere Hundert von ihnen wurden kürzlich bei schweren Regenfällen buchstäblich aus der Kanalisation gespült, wo sie ihre Behausungen errichtet hatten. Fast die Hälfte der Schulkinder in Las Vegas können aufgrund der finanziellen Lage ihrer Eltern inzwischen kostenlose Mahlzeiten in Anspruch nehmen, wie die Londoner "Times" berichtete.

Die Finanzkrise, die in den USA ihren Ausgang nahm, hat Amerika den höchsten Armutsstand seit der statistischen Erfassung im Jahre 1959 beschert. Zwar liegt die Armutsrate rein prozentual nach neuen Zahlen der US-Statistikbehörde US Census Bureau für 2009 mit 14,3 Prozent knapp unter der des Jahres 1994 und noch deutlich unter der einsamen Rekordmarke des Jahres 1959 mit 22,4 Prozent.

Doch aufgrund des starken Bevölkerungswachstums der USA auf jetzt fast 310 Millionen Menschen waren noch nie so viele Amerikaner arm wie jetzt: Für das vergangene Jahr wird die Zahl von 43,6 Millionen angegeben. 2008 waren es erst 39,8 Millionen Arme gewesen, und für das laufende Jahr 2010 wird ein Anstieg auf 47 Millionen befürchtet. Manche Experten behaupten auch, die tatsächliche Armut in den USA sei mit dieser Statistik nicht erfasst; die Zahl der Armen liege noch weit höher. So meinte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bereits 2008, nach ihrer Berechnung, die weniger als die Hälfte des Medianeinkommens zugrunde legt, liege die Armutsrate in den USA bei 23 Prozent. Beim Medianeinkommen werden die oberen und unteren 20 Prozent herausgerechnet und dann der Durchschnitt ermittelt. Armut liegt nach US-Definition demnach vor, wenn eine vierköpfige Familie weniger als 21 954 Dollar im Jahr zur Verfügung hatte; für eine Einzelperson liegt der Betrag bei 10 956 Dollar.

Die Denkfabrik Brookings Institute rechnet damit, dass die Armutsrate im nächsten Jahrzehnt auf mehr als 16 Prozent ansteigen wird. Dies würde bedeuten, dass weitere zehn Millionen Amerikaner arm sein werden, darunter sechs Millionen Kinder. Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren stieg die Armutsrate 2009 bereits von 19 Prozent auf 20,7 Prozent. Am schlimmsten trifft es alleinerziehende Frauen. Fast 30 Prozent ihrer Haushalte fallen unter die Armutsgrenze.

Und während Präsident Barack Obama um seine Gesundheitsreform kämpft, muss seine Regierung einräumen, dass die Zahl der Amerikaner mit einer Krankenversicherung 2009 zum ersten Mal seit Beginn der Statistik 1987 wieder gesunken ist. 50 Millionen Amerikaner haben keinen Versicherungsschutz. Obamas fast eine Billion Dollar teures Hilfsprogramm wird von den Republikanern erbittert bekämpft.

Die Landkarte der Armut deckt sich alarmierend mit der Wähler-Basis von Barack Obama - Schwarze und Hispanics sind überrepräsentiert. Obamas Konjunkturprogramm von 800 Milliarden Dollar hat bislang kaum etwas bewirkt. "Das Problem mit der Stimulierung ist, dass sie nur zur Hälfte Viagra war", spottete der Finanzinvestor Warren Buffett. Nach einer Studie haben 30 Prozent der Amerikaner Mühe, finanziell über die Runden zu kommen. Die Arbeitslosenrate stieg von Januar 2009 von 7,7 Prozent auf 9,6 Prozent im August 2010.

Das Platzen der Immobilienblase in den USA hatte die Finanzkrise ausgelöst. Millionen Amerikaner mussten ihre Häuser verkaufen, weil sie steigende Zinsen und Hypotheken nicht mehr bedienen konnten. In vielen amerikanischen Metropolen haben sich Zeltstädte ausgebreitet. Im vergangenen Jahr richtete Amerikas Talkshow-Königin Oprah Winfrey die Aufmerksamkeit der Nation auf die wuchernde Zeltstadt von Sacramento. Die negative Publicity war dem Stadtrat derart unangenehm, dass er rasch für eine Million Dollar alternative Behausungen beschaffen ließ.

In direktem Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit und Armut steht steigende Drogensucht. "Wenn Menschen ihren Job verlieren, fangen sie an, nach jedem Strohhalm zu greifen, der ihnen ein Fluchtgefühl vermittelt - und das führt zur Sucht", sagte Major George Hope von der US-Heilsarmee in der "Times". 70 Prozent der Süchtigen sind arbeitslos. Die Hilfsorganisation hat 2009 mehr als eine Milliarde Dollar für Bedürftige aufgewendet. Nach ihren Angaben hat sich die Zahl der kurzfristig Hilfe Suchenden in manchen Gegenden um 400 Prozent erhöht.