Die enttarnten Agenten haben moderne Technologie zur Verschlüsselung genutzt. Moskaus Außenminister Lawrow reagierte empört.

Washington. Es klingt wie ein Thriller mitten aus dem Kalten Krieg: Getarnt als Durchschnittsbürger, aber ausgestattet mit unsichtbarer Tinte und ausgetüftelter Verschlüsselungs-Technologie soll ein Agentennetz in den USA jahrelang für Russland spioniert haben. US-Ermittler, die sich selbst als russische Regierungsbeamte ausgaben, nahmen nach langwierigen Ermittlungen jetzt zehn Verdächtige in mehreren Städten im Nordosten der USA fest, wie das Justizministerium mitteilte.

Neben den zehn Festgenommenen sei ein weiterer Verdächtiger angeklagt, der zunächst noch auf der Flucht sei. Russland will die Vorwürfe prüfen. Der Fall gilt als beispiellos wegen der Zahl der Verdächtigen. Gegen alle zehn sei Anklage wegen des Verdachts der Agententätigkeit erhoben worden, acht von ihnen werde überdies Geldwäsche vorgeworfen. Die Männer und Frauen sollen teils seit den neunziger Jahren Informanten in politischen Kreisen rekrutiert und Daten für Russland gesammelt haben.

Russische Spione im Westen Das Ministerium machte allerdings keine Angaben dazu, was genau sie ausspioniert haben sollen. Ob darunter auch Staatsgeheimnisse waren oder ob es den Agenten gelang, an Geheimdokumente zu kommen, lässt die Anklageschrift offen. Agententätigkeit für eine fremde Regierung wird den Angaben zufolge in den USA mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet, Geldwäsche mit bis zu 20.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow forderte von den USA Erklärungen. „Man hat uns nicht gesagt, worum es eigentlich geht. Ich hoffe, man erklärt uns das. Der Augenblick, in dem das gemacht wurde, ist ja raffiniert gewählt.“ Das sagte Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax mit Blick auf die zunehmend freundschaftlichen Beziehungen zwischen US-Präsident Barack Obama und Kremlchef Dmitri Medwedew. Die Informationen zu den Anschuldigungen seien „widersprüchlich“.

Erst am Donnerstag waren Obama und Medwedew im Weißen Haus zusammengetroffen . Dabei vereinbarten sie eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit, eine stärkere Kooperation der Geheimdienste und im Kampf gegen den Terror. Obama hatte den Kremlchef dabei als „Freund und Partner“ bezeichnet. Medwedew sei „solide und verlässlich“.

Der regierungskritische Moskauer Politologe Mark Urnow sprach von einem „beispiellosen Fall mit so vielen Festnahmen auf einmal“. Ansonsten sei es aber nichts Außergewöhnliches, dass Staaten nun einmal Geheimdienste einsetzten. „Diesmal hat es eben unsere Agenten erwischt“, sagte Urnow. Nach seiner Einschätzung wird der Skandal nicht den begonnenen Neustart in den Beziehungen zwischen den USA und Russland gefährden.

Der russische Geheimdienst-Veteran Michail Ljubimow äußerte Zweifel, dass Agenten in Geldwäsche verwickelt sein sollen. „So etwas hat es bisher noch nicht gegeben“, sagte er. „Dass sie Aufklärung betrieben haben sollen, ist erst einmal nur eine allgemeine Mitteilung.“ Sollte sich der Skandal als politische Provokation herausstellen, sagte Ljubimow, werde Moskau wohl „repressive Maßnahmen“ etwa gegen US-Ingenieure einleiten, die in Russland arbeiten.

Detailreich schildern die US-Ermittler die Arbeitsweisen der mutmaßlichen Spione, die angeblich auch die Identität von Toten annahmen: Im Vorbeigehen sollen identische Taschen mit russischen Verbindungsleuten ausgetauscht worden sein. Botschaften für die Zentrale in Moskau wurden verschlüsselt auf Webseiten versteckt, die dem ungeschulten Auge nicht auffielen. Zur Übertragung von Informationen hätten Agenten Kurzwellentechnik verwendet und drahtlose Internet-Netzwerke an öffentlichen Plätzen aufgebaut, um Daten von einem Laptop zum nächsten zu senden.

Den Verhaftungen waren laut Ministerium jahrelange Ermittlungen der US-Bundespolizei FBI vorausgegangen. US-Agenten hätten sich unter anderem als russische Regierungsbeamte getarnt und mit den Verdächtigen getroffen. Die Fahnder schlugen am Wochenende in den US-Staaten New Jersey, New York, Massachusetts und Virginia zu.