Einmal falsch abgebogen und schon sieht Pjöngjang ganz anders aus. Eine Reportage über die glänzenden Fassaden und ein wenig Wirklichkeit.

Pjöngjang. Der Pressebus biegt falsch ab, und schon sieht Nordkorea ganz anders aus. Hinter der polierten Fassade sozialistischer Errungenschaften wirbelt brauner Staub über Schlaglochpisten und um die bröselnden Ecken des Plattenbaus. Alte Leute trotten den Gehweg entlang, manche mit Rucksäcken Marke Eigenbau auf dem Buckel. An der Bushaltestelle warten zwei Männer im Rollstuhl. Ladengeschäfte sind dunkel.

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„Vielleicht ist das nicht der richtige Weg?“, murmelt eine der gut gekleideten Aufpasserinnen, die darüber wachen, dass sich die Weltpresse auf die sorgfältig inszenierten Vorzeigetermine zum höheren Lob der in dritter Generation herrschenden Kim-Dynastie konzentriert. Während die Kameras hektisch klicken, wenden die Fahrer schleunigst die drei Reisebusse auf der schmalen Straße und steuern dem Ziel entgegen: einem pieksauberen, hell erleuchteten, mit glänzendem Marmor gefliesten und nahezu menschenleeren Gebäude.

Der Gruppe ausländischer Journalisten, anlässlich des 100. Geburtstags des Staatsgründers Kim Il-sung nach Nordkorea eingeladen, wurde am Donnerstag das Hana-Musikinformationszentrum vorgeführt. Hier werden digitalisierte Aufnahmen aufbewahrt und DVDs hergestellt, und hier hatte Staatschef Kim Jong-il einen seiner letzten öffentlichen Auftritte vor seinem Tod im Dezember, wie eine der Medienbegleiterinnen erzählt.

„Nur die reine Wahrheit“

„Ich hoffe, dass die hier anwesenden Journalisten nur die reine Wahrheit berichten“, sagt Ri Jinju mit bebender Stimme. „Die Wahrheit darüber, wie sehr unser Volk unseren Genossen Kim Jong-il vermisst und wie stark die Einheit ist zwischen dem Volk und der Führung, die energisch die Weisungen der Führer ausführt, eine große, blühende und mächtige Nation aufzubauen.“

Schwer auszumachen, was in Nordkorea die Wahrheit ist. Auf die Suche zu gehen, schier unmöglich. Wer auf eigene Faust aus dem Medientross ausschert oder sich aus den wenigen Ausländerhotels entfernt, läuft Gefahr, festgenommen und ausgewiesen zu werden. Doch selbst in dieser kontrollierte Umgebung behauptet sich Wirklichkeit.

Wirklichkeit: Sind das die mit bunten Lichterketten garnierten Hochhäuser in Sichtweite des Ausländerhotels, die bei Sonnenuntergang erstrahlen wie eine gigantische Weihnachtsdekoration? Oder ist es die stockfinstere Fläche der Hauptstadt jenseits der leuchtenden Inseln? Liegt die Wirklichkeit auf den langweiligen, sauberen, von staatstragenden Parolen gesäumten Paradestrecken oder auf den staubigen Nebenstraßen?

Kein Augenkontakt

Die meisten Besucher der Hauptstadt des bitterarmen Landes bekommen nie ein Schlagloch zu Gesicht, einen Stau oder Abfall auf der Straße, keine Graffiti und keine Menschen mit Behinderung. Sie sehen normalerweise nur die sauberen Straßen vor ihrem Busfenster und Vorzeigegebäude wie das Museum des Siegreichen Vaterländischen Befreiungskriegs, der Palast zu Ehren der „Juche“-Doktrin der Autarkie oder das Computerlabor der Kim-Il-sung-Universität – voller ganz normaler Bürger, wie die Begleiter beteuern.

Die Studenten im Hörsal blicken nicht einmal auf, als Dutzende Reporter hereinstolpern, die Vorlesung geht ohne Unterbrechung weiter. Im Uni-Schwimmbad rutschen die jungen Leute vor laufenden Kameras die Rutsche herunter, als ob sie ganz unter sich wären. Vielleicht sind es wirklich Studenten. Doch schau ihnen direkt in die Augen, und ihre Blicke irren umher und sehen an dir vorbei, als wärst du gar nicht da.

Nur die offiziellen Führer, stets schöne, in pastellbunte Gewänder gekleidete Frauen, reden bereitwillig. Und immer geht es dabei um die Kims: um den Großen Führer Kim Il Sung, den Großen General Kim Jong-il und seit dessen Tod nun auch um den Geachteten General Kim Jong-un. „Je mehr Zeit vergeht, desto mehr vermissen wir unseren Geliebten Führer Kim Jong-il“, sagt Fremdenführerin Ri. „Eine so große Persönlichkeit werden wir nie wieder finden.“

Ein Blick zurück

Eigentlich unverständlich, warum die Obrigkeit Orte wie das triste Schlaglochviertel unweit des Stadtzentrums vor den Augen der Öffentlichkeit verbirgt. Es gibt Gegenden in New York, die schlimmer aussehen. Für viele Nordkoreaner, die auf internationale Lebensmittelhilfe angewiesen sind und weder Strom noch fließend Wasser haben, wäre es ein Wohnviertel der gehobenen Mittelschicht. Für die Hauptstadt bedarf es einer Zuzugsgenehmigung, sie ist besser versorgt als das platte Land. Hier gibt es Arbeitsplätze bei Vater Staat, wenigstens ein paar Stunden täglich Strom, mehr Ware in den Läden und Innentoiletten in den Schulgebäuden.

Vielleicht deutet sich ja doch eine Öffnung an. Früher hätten die Aufpasser die Journalisten angewiesen, die Kameras herunterzunehmen, wenn sie auf etwas stießen, das womöglich das erwünschte Bild Nordkoreas hätte trüben können. Manchmal zogen sie auch die Vorhänge vor den Busfenstern zu. Diesmal jedoch sagten die Aufpasser nichts, als die Kameras klickten. Die Journalisten blickten hinaus. Und die Menschen auf der Straße erwiderten den Blick.