Es geht zwischen Iran und Israel nur noch um Waffen und Drohgebärden. Davon hatten junge Israelis genug: Sie starteten eine Facebook-Initiative.

Hamburg. Ein wenig ruhiger ist es geworden bei den Edrys. Die Mobiltelefone klingeln nicht mehr im Minutentakt, Aber das Interesse hält an. Vor wenigen Tagen sah das noch ganz anders aus: Der Grafikdesigner und -lehrer Ronny Edry, 41, hatte ein Porträt von sich und seiner fünfjährigen Tochter Ela mit dem Slogan "Iraner - wir werden euer Land niemals bombardieren - wir lieben euch" auf Facebook veröffentlicht. Und dann brach eine Welle ungeahnter Aufmerksamkeit auf seine junge Familie herein.

Inzwischen haben Zigtausende auf den "gefällt mir"-Button geklickt, Tausende teilten das digitale Plakat auf ihrer Pinnwand. "Ich hatte nie damit gerechnet, dass die drei Worte 'wir lieben euch' so viel Aufmerksamkeit erregen könnten", sagt Ronnys Ehefrau Michal, 35, über die vergangene Woche und streicht dabei dem einjährigen Sohn Neri zärtlich über den Kopf. Das große Wohn- und Arbeitszimmer der Edrys ist mittlerweile zum "Situation Room" geworden, zur Zentrale ihrer Kampagne. Dort prangt - als Großformat gedruckt vor rosa Hintergrund - der Slogan, der zu dem ganzen Trubel geführt hat.

Erstaunlich entspannt wirken die beiden nach den tage- und nächtelangen Mühen, ihre Botschaft in die Welt zu tragen. Im beschaulichen, bürgerlichen Innenstadtviertel Tel Avivs zwischen der trendigen Schenkin-Straße und der Flaniermeile Rothschild-Boulevard lässt sich nicht erahnen, dass hier wohl eine der erfolgreichsten virtuellen Kampagnen der letzten Wochen und Monate ins Leben gerufen wurde.

"Wir mussten etwas unternehmen, um diesen Kreislauf der Gewalt zu stoppen", sagt Ronny. "Es wird nur noch darüber gesprochen, wer die größeren Bomben hat und wer sie zuerst abwerfen wird. Dadurch waren wir wirklich gestresst, wir haben Angst um unsere Kinder."

Nachdem er sein Poster auf der Facebook-Seite seiner Grafikschule Pushpin Mehina veröffentlicht hatte, stieg die Anzahl seiner Internetfreunde rasch auf 5000 - mehr erlaubt Facebook nicht. Die daraufhin geborene Community-Seite "Israel loves Iran" sammelt Sekunde um Sekunde mehr "gefällt mir"-Klicks, aktueller Stand: mehr als 50 000. Facebook-Analytics liefert die Information, dass die Seite seit einer Woche fast 600 000-mal aufgerufen wurde.

Fans fordern in Kommentaren bereits die Verleihung des Friedensnobelpreises an Ronny Edry. Der nimmt das mit einem Lächeln zur Kenntnis: "Wir sind immer noch in der Startphase und dabei, unsere Botschaft zu verbreiten. Viel Arbeit liegt noch vor uns." Die Botschaft ist einfach und richtet sich direkt an die Menschen im Iran. Seine erste Veröffentlichung auf Facebook kommentierte Edry mit den Worten: "An das iranische Volk, an die Väter, Mütter, Kinder, Brüder und Schwestern ... Bevor es zum Krieg kommt, müssen wir uns voreinander fürchten, müssen wir einander hassen. Ich habe keine Angst vor euch, ich hasse euch nicht. Ich kenne euch noch nicht einmal..."

Die wohl größte Überraschung war, dass auf der "Gegenseite" eine Antwort auftauchte. Ein in New York lebender Exil-Iraner startete die Seite "Iran loves Israel", die es auch schon auf rund 13 000 "gefällt mir" bringt. Edrys Worte kamen an bei den Iranern, Hunderte antworteten prompt. Unter ihnen ist die in München lebende Shahrzad Hosseini, die mit ihrem wirklichen Namen reagieren kann und ein Plakat hochlud: "Meine israelischen Freunde - ich hasse euch nicht - ich möchte keinen Krieg - Liebe und Frieden". Die 27-Jährige wurde während des Iran-Irak-Krieges geboren und musste aus Teheran fliehen, als der Irak die iranische Hauptstadt bombardierte. Sie hat erlebt, was Krieg bedeutet, und hat jetzt Angst um ihre Familie im Iran, mit der sie fast täglich telefoniert. "Es ist toll, dass Israelis diese Aktion gestartet haben. Endlich gibt es eine Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, und die Israelis lernen uns kennen. Das hat die letzten 30 Jahre gefehlt", sagt sie.

Ihr israelischer Lebensgefährte, den sie in Deutschland kennenlernte, teilt ihre Aktion auf seiner Pinnwand: "In Israel kann jeder seine Meinung frei äußern. Das geht im Iran nicht. Durch die Kampagne werden die Israelis auch zu unserer Stimme und können so der Welt mitteilen, dass die einfachen Menschen im Iran keinen Krieg wollen."

Auf normalem Weg sind Besuche nicht möglich. Shahrzad Hosseinis iranischer Pass enthält den Hinweis, dass Inhaber dieses Dokuments nicht in die "besetzten palästinensischen Gebiete" einreisen dürfen. So werden nach iranischer Lesart das israelische Kernland, der Gazastreifen und das Westjordanland definiert.

Das iranische Regime setzt Internetfilter ein, um Seiten wie Facebook, Twitter und YouTube zu blockieren. Viele iranische Nutzer umgehen die Sperren mithilfe von Anti-Filter-Software oder im Ausland gelegenen Servern. Ihre Kommentare und Plakate auf der Pinnwand der "Israel loves Iran"-Bewegung veröffentlichen sie unter falschen Namen, sogenannten Alias-Profilen. Oder sie schicken sie an die Edrys, die sich Mühe geben, jede Nachricht zu beantworten. Sollten die iranischen Kontrollorgane an die wahren Identitäten gelangen, drohen den Nutzern Repressalien. Selbst Exil-Iraner befürchten, bei einem Besuch in der Heimat direkt am Flughafen verhaftet zu werden. Die zu erwartenden Strafen können den Kommunikationsdrang dennoch nicht vollständig unterbinden. Der Wunsch zum Erfahrungsaustausch besteht. Da für Iraner und Israelis keine Reisen ins jeweils andere Land möglich sind, treffen sich die Gesprächsbereiten eben im virtuellen Wohnzimmer des Web.

In Israel herrscht Meinungsfreiheit - daher kommen dort auch Kritiker der Kampagne zu Wort. Gemäßigte werfen den Initiatoren vor, sie seien naiv. Hardliner kritisieren, die Aktion sei von Schwächlingen ins Leben gerufen worden, die schon vor ersten Kampfhandlungen mit der weißen Fahne wedelten.

Ein Freund der Familie Edry, der 45-jährige Dror Sheffer, leistet tatkräftig Beistand zur Verbreitung der Initiative. "Der Begriff 'Krieg' wird mir zu leichtfertig verwendet", sagt er. "Viele Menschen wissen doch gar nicht, was Krieg wirklich bedeutet." Sheffer hat seine Erfahrungen gemacht, er kämpfte 2006 im Zweiten Libanonkrieg gegen die Terrororganisation Hisbollah. "Allein beim Gedanken daran fange ich an zu zittern. Wir wünschen uns, dass unseren Kindern solche traumatischen Erlebnisse erspart bleiben."

Letztlich sind es die Bewohner der gesamten Region, die die Konsequenzen politischer Entscheidungen tragen müssen. Mit ihrer einfach formulierten Liebesbekundung erreichten die Edrys in kürzester Zeit nicht nur eine internationale Berichterstattung zum drohenden Krieg, sondern auch eine, die sich wieder auf die Menschen konzentriert. "Weniger ist mehr. Wir haben den Menschen die Möglichkeit gegeben, sich gegenseitig mitzuteilen, dass sie sich wertschätzen. Sie scheinen darauf gewartet zu haben", sagt Ronny Edry.

Der exponentielle Anstieg an Unterstützern ist nicht mehr ganz so rasant wie in den ersten Tagen, trotzdem kommen täglich Tausende hinzu. Und die Macher nutzen die Gunst der Stunde. Um die nächsten Schritte angehen zu können, brauchen die Edrys finanzielle Mittel. Ihr Online-Spendenaufruf brachte innerhalb von einer Woche umgerechnet rund 17 000 Euro ein, inzwischen sind es 19 000. Sie sollen helfen, die Kampagne vom Bildschirm auf die Straße zu bringen.

Die Edrys träumen von ihren Postern auf Bussen und großflächigen Werbetafeln rund um den Globus. "Stellt euch vor, unsere Botschaft hinge am Times Square in New York", wirft Ronny in die Runde. Michal und Dror nicken. Der Erfolg motiviert. "Wir müssen unsere nächsten Schritte sorgfältig überdenken", sagt Ronny. Die Edrys und ihre mittlerweile sechs ehrenamtlichen Helfer wollen das Erreichte nutzen und konkrete Aktionen planen. Ihre Botschaft wandelte sich mit der öffentlichen Wahrnehmung von einer zwischenmenschlichen zu einer politischen.

Am vorigen Sonnabend fand in Tel Aviv die erste Demonstration gegen einen israelischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen statt. Aufgerufen dazu hatten linke Aktivisten, rund 1000 Teilnehmer schlossen sich an. Ronny Edry wurde gebeten, in der Menschenmenge mitzugehen. Er wollte "nicht mit einer roten Fahne in der Hand" durch die Straßen Tel Avivs marschieren, sagt er. "So würden wir uns nicht die Aufmerksamkeit verschaffen, die wir uns wünschen. Wir würden nur in die Schublade der üblichen Verdächtigen gesteckt werden." Die finden in der breiteren israelischen Öffentlichkeit kein Gehör.

Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, müssten die Macher der Kampagne Zehn- bis Hunderttausende auf Israels Straßen bringen. Ob das andererseits das iranische Regime zur Umkehr im Atomprogramm verleiten würde, ist eine andere Frage. Die Aktivisten von "Israel loves Iran" hatten einen guten Start, aber die schwierigeren Zeiten werden mit der abflachenden Aufmerksamkeit kommen. Berufliche Pflichten, Familienleben und Engagement müssen zeitlich aufeinander abgestimmt sein, in der Grafikschule warten Schüler. Die letzten Tage widmeten die Edrys ausschließlich der Kampagne, nahmen sich dazu frei. Michal Edry ist Überzeugungstäterin: "Unsere Großeltern und Eltern trugen mit ihrer eigenen Hände Arbeit zum Erfolg Israels bei. Sie bauten dieses Land auf, sie lebten den zionistischen Traum und waren stolz auf das Erreichte. Wir lassen uns das nicht von den Politikern zerstören."