Hamburg. Nach dem Massaker von Toulouse sieht der Historiker Wolfgang Benz keine neue Dimension des Antisemitismus in Europa. Zunächst müssten mehr Informationen zu den Hintergründen des Attentäters und dessen Motiven bekannt werden, sagte Benz dem Hamburger Abendblatt. Am Montag hatte ein Mann drei jüdische Kinder und einen Rabbiner in der südfranzösischen Stadt Toulouse erschossen. Nach eigenem Bekunden soll der gestern identifizierte 24 Jahre alte Täter im Namen des Terrornetzwerks al-Qaida gehandelt haben.

"Ich fürchte, dass kaltblütige Taten wie die von Oslo und Toulouse normale Gewalt in einer Massengesellschaft ist", sagte Benz. Die habe es immer gegeben, auch in Europa. So hätten im 19. Jahrhundert russische Anarchisten mit Bombenanschlägen die Gesellschaft in Angst versetzt, erläuterte der Historiker, der viele Jahre das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin leitete. Benz sagte auch: "Die Sicherheitsbehörden müssen nun vor allem mögliche Nachahmer der Tat von Toulouse verhindern."

Laut einer aktuellen Studie der Anti-Defamation-League (ADL) bleiben antisemitische Haltungen in Europa auf "beunruhigend hohem Niveau". Nahezu ein Drittel aller Befragten in zehn EU-Ländern zeige judenfeindliche Einstellungen. "Ich sehe nur bei fünf Prozent der Deutschen klare judenfeindliche Einstellungen", sagte Benz. Bei vielen Befragten seien Ressentiments da, die nicht speziell antisemitisch sind. Würde man sie zu ihren Einstellungen beispielsweise gegenüber Österreichern befragen, wären die Antworten vielleicht ähnlich.