In der Protesthochburg Homs bahnt sich eine humanitäre Katastrophe an. Syrische Exil-Opposition fordert von Deutschland Abschiebestopp.

Damaskus/Berlin/Moskau. Die humanitäre Lage in der syrischen Protesthochburg Homs verschlechtert sich zunehmend. 2850 Menschen sind nach Angaben von Oppositionellen bislang in Homs getötet worden. Allein in den vergangenen sechs Tagen, an denen die Stadt unter Dauerbeschuss des Militärs stand, sind nach Angaben von Regimegegnern hunderte Menschen getötet worden. Aktivisten sprechen von einer humanitären Katastrophe, da seit zehn Tagen keine Lebensmittel mehr in die umzingelte Stadt geliefert werden. Landesweit seien am Donnerstag mindestens 126 Menschen von Regierungstruppen getötet worden, berichtet der Nachrichtensender Al-Arabija unter Berufung auf Oppositionelle. Allein 107 von ihnen seien in Homs ums Leben gekommen. Aktivisten baten um Hilfe vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete am Freitag zudem, vor zwei Einrichtungen der Sicherheitskräfte in der Stadt Aleppo seien große Sprengsätze detoniert. Die Terroranschläge hätten einem Gebäude des Militärgeheimdienstes und dem Sitz der Ordnungspolizei gegolten. Es habe mehrere „Märtyrer“ gegeben. Syrische Oppositionelle fordern unterdessen mehr Hilfe von Deutschland und fordern einen Abschiebestopp.

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In Unruhebezirken wie Baba Amr habe das anhaltende Bombardement die Versorgung von Verwundeten in Homs besonders erschwert, berichteten die Aktivisten. Einige Teile der Stadt seien seit Tagen ohne Strom. Die Stadt ist umzingelt; Armeeposten kontrollieren alle Zugangsstraßen. Seit zehn Tagen konnten keine Lebensmittel mehr in die Stadt geliefert werden. Essen und Medikamente werden knapp. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gehen auch die Heizölvorräte zur Neige. In ganz Homs gibt es nach Angaben von Aktivisten nur noch drei Ärzte, einer wurde durch Granatenbeschuss verletzt.

Die mit mehr als 650.000 Einwohnern drittgrößte Stadt Syriens erleidet heute das Schicksal von Hama vor 30 Jahren. Damals hatte Assads Vorgänger und Vater Hafis al-Assad wochenlang den Widerstand in der Stadt mit 300.000 Einwohnern zusammenschießen lassen. Die Weltöffentlichkeit bekam damals zunächst kaum etwas davon mit. Bisher wurden in Homs nach Angaben syrischer Oppositioneller mehr als 2850 Menschen getötet – Tendenz schnell steigend. Wie viele Tote es 1982 in Hama gab, ist unklar. Syrische Exilpolitiker um den ehemaligen Staatspräsidenten Amin al-Hafin sprachen 1983 von 35.000 bis 38.000 Toten. Die heutigen Schätzungen bewegen sich zumeist zwischen 10.000 und 30.000 Toten.

Hama war eine Hochburg der sunnitischen Muslimbruderschaft, die in Syrien verboten war. Die Opposition umfasste aber auch panarabische Nationalisten. Assads laizistische Baath-Partei sah die Muslimbrüder, die die Einheit von Religion und Staat forderten, als Bedrohung an und unterdrückte sie blutig. Die Islamisten versuchten ihrerseits, Assads Regime mit Terroranschlägen zu destabilisieren. Im Februar 1982 brachen in Hama schwere Unruhen aus. Assads Truppen riegelten mehrere Stadtviertel ab und gingen mit schweren Waffen gegen die Islamisten vor, die ihrerseits alle Syrer zum Aufstand aufriefen. Mehr als zwei Wochen lang wurde die Stadt im Nordwesten Syriens bombardiert und beschossen, auch die Altstadt. Es kam zu Massakern. Am Ende war der Widerstand gebrochen. Oppositionelle wurden eingekerkert, die Muslimbewegung war praktisch zerschlagen.

Jetzt scheint sich die Geschichte in Homs zu wiederholen. Seit Beginn des Aufstandes gegen Assad wurde die Stadt 160 Kilometer nördlich von Damaskus zum Ziel massiver Angriffe der syrischen Armee. Anders als in Hama steht das Blutbad in der alten Seidenstadt Homs allerdings im Fokus der Weltöffentlichkeit. Auch die – wie damals ideologisch uneinheitliche – Opposition findet im Ausland viel mehr Widerhall. Die Geschichte von Homs nahe der Grenze zum Libanon reicht bis ins Jahr 2300 vor Christus zurück. Die nahe gelegene mittelalterliche Kreuzritterburg „Krak des Chevaliers“ zählt zum Weltkulturerbe der Unesco.

Opposition fordert Hilfe von Deutschland

Vertreter der syrischen Opposition haben unterdessen an die internationale Gemeinschaft appelliert, gegen das Blutvergießen in Syrien einzuschreiten und härtere Sanktionen zu verhängen. Die Staatengemeinschaft müsse gemeinsam intervenieren, um den Schutz der syrischen Bevölkerung zu gewährleisten, sagte Ferhad Ahma vom Syrischen Nationalrat (SNC) am Freitag in Berlin. Humanitäre Maßnahmen seien dringend nötig. Seit vergangenem Sonnabend seien in Syrien mindestens 750 Zivilisten durch Vertreter des Regimes getötet worden. Die Sicherheitskräfte gingen mit Panzern, Mörsern und Artillerie gegen die Zivilbevölkerung vor. Hozan Ibrahim vom SNC-Generalsekretariat stellte klar, dass der SNC keine militärische Intervention fordere. Zuerst müssten härtere politische und wirtschaftliche Sanktionen verhängt werden, eine militärische Intervention dürfe nur das letzte Mittel sein.

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Die Sicherheitskräfte des Präsidenten machten sich ganz klar der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig, erklärte Ahma. Es gebe Massenhinrichtungen, Massenverhaftungen, Vergewaltigungen und Folter. Die internationale Gemeinschaft müsse dafür sorgen, dass sich Assad vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Verantwortung gezogen werde. Elias Perabo, der Initiator des Projekts „Adopt a Revolution“ forderte die Bundesregierung auf, die Opposition in Syrien deutlich stärker als bisher zu unterstützen. So könne Deutschland verletzte Regime-Gegner, die sich in die Türkei oder den Libanon geflüchtet hätten, ausfliegen und in deutschen Krankenhäusern behandeln.

Zudem fordert die Exil-Opposition einen bundesweiten Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge verlangt. Die Gegner des Assad-Regimes kritisierten am Freitag in Berlin, dass bislang nur einzelne Bundesländer auf die Abschiebung von syrischen Flüchtlingen verzichten. Dazu gehören zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Mehr als 32.000 Menschen mit syrischem Pass leben in Deutschland. Mehrere hundert müssten auf der Grundlage von Gerichtsentscheidungen eigentlich die Bundesrepublik verlassen. Im vergangenen Jahr – als die Gewalt in ihrer Heimat eskalierte – baten mehr als 2600 Syrer in der Bundesrepublik um Asyl. Deutschland hatte zuletzt den diplomatischen Druck auf die Regierung in Damaskus verstärkt und vier Mitarbeiter der syrischen Botschaft ausgewiesen. Die EU bemüht sich unterdessen weiter, Russland doch noch umzustimmen, eine Uno-Resolution gegen Syrien passieren zu lassen.

"Terroristische Explosionen" in Aleppo

In der Stadt Aleppo haben sich am Freitag zwei Explosionen ereignet. Dabei gab es laut Berichten staatlicher Medien Tote und Verletzte, darunter Zivilpersonen und Militärangehörige. Schauplatz der Detonationen waren demnach Gebäude der militärischen Sicherheit und der Ordnungspolizei. Das Staatsfernsehen sprach von „terroristischen Explosionen“. Es waren die ersten derartigen Detonationen in der zweitgrößten syrischen Stadt, in der es seit Beginn der Proteste im März relativ ruhig blieb. Aleppo liegt in der Nähe der Grenze zur Türkei und ist eine Wirtschaftsmetropole.

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Gegner von Präsident Baschar al-Assad machten sein Regime für die Anschläge verantwortlich. Sie erklärten unter Berufung auf Anwohner, die vor den Detonationen verdächtiges Verhalten der Sicherheitskräfte beobachtet haben wollen: „Die ist ein weiteres schwarzes Theaterstück des Regimes.“ Die Regierungstruppen hätten nach den Detonationen jeweils mehrere Schüsse abgegeben, um den Eindruck zu erwecken, es habe ein Gefecht zwischen ihnen und den Terroristen stattgefunden.

Mit Material von dpa/dapd/rtr