Anhaltende Gewalt in Syrien überschattet Arbeit der Delegation der Arabischen Liga. Deren Chef soll für Massaker in Darfur verantwortlich sein.

Berlin. Ein Mann mit Schnurrbart und weißem Käppi steht am Rand einer Straße der südsyrischen Stadt Daraa. Er trägt eine neonorangefarbene Weste mit dem Logo der Arabischen Liga. Anwohner drängen sich um ihn herum, sie bestürmen den Mann mit ihren Berichten. "Ihr sagt, dass es Scharfschützen gibt", ruft der Beobachter. "Das müsst ihr mir nicht sagen. Ich habe sie mit meinen eigenen Augen gesehen." Ein Amateurvideo zeigt die Szene, die sich am Freitag abgespielt haben soll. Doch dann, wenige Stunden später, meldete sich der Leiter der Mission, der sudanesische General Mustafa al-Dabi, auf BBC zu Wort. "Der Mann sagte, dass er Scharfschützen melden würde, wenn er mit seinen eigenen Augen welche sähe", erklärte er. "Doch er hat keine gesehen."

Der Widerspruch illustriert, warum massive Kritik an der Beobachtermission der Arabischen Liga aufgekommen ist. Vor zehn Tagen ist die Delegation in Syrien eingetroffen, um die Umstände der Niederschlagung der Proteste gegen das Assad-Regime zu klären. Rund 60 Beobachter sind vor Ort, darunter Diplomaten, Militärs, Menschenrechtler. Sie sollen dazu beitragen, das Blutvergießen in Syrien zu beenden. Doch von Anfang an wurde die Mission von Gewalt überschattet: Aktivisten zufolge sind seit Ankunft der Delegation am 23. Dezember mehr als 300 Menschen getötet worden.

Nun hat sogar das Beratergremium der Arabischen Liga den sofortigen Abbruch der Mission gefordert. "Wir beobachten eine Zunahme der Gewalt", sagte Salem al-Diqbassi, der Sprecher des Arabischen Parlaments, "und all das in Gegenwart der Beobachter, was die arabischen Völker verärgert hat." Gestern dagegen sagte Nabil al-Arabi, der Generalsekretär der Arabischen Liga, die Führung in Damaskus habe das Militär aus den Zentren der Städte abgezogen und 3500 Gefangene freigelassen. Es werde aber nach wie vor auf Demonstranten geschossen. In Syrien unterdessen wachsen die Zweifel an der Eignung und der Objektivität der Beobachter. Das Misstrauen konzentriert sich auf den Leiter der Mission: Mustafa al-Dabi ist ein enger Vertrauter des sudanesischen Staatschefs al-Baschir, gegen den ein internationaler Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen vorliegt.

Der General wird verdächtigt, an Massakern in Darfur beteiligt gewesen zu sein. Gleich bei seinem ersten Besuch in der Protesthochburg Homs am vergangenen Dienstag schien al-Dabi die Vorbehalte zu bestätigen: Die Lage sei "stellenweise etwas durcheinander gewesen", sagte er, doch habe er "nichts Beunruhigendes" gesehen. Die Aussage verblüffte, da die Armee unmittelbar zuvor mehrere Viertel mit schwerer Artillerie beschossen haben soll.

Was bei einem zweiten Besuch in Homs am Mittwoch geschah, belegt ein Amateurvideo: Zu sehen ist, wie sich Beobachter hinter einer Betonwand in Deckung werfen, als Schüsse durch die Straßen pfeifen. Auf dem Weg in das aufständische Viertel Bab Amro sollen sich ihnen die Anwohner in den Weg gestellt haben. "Sie kamen mit Offizieren der Armee", sagt Omar Shakir, ein Aktivist, der in Bab Amro lebt. "Deswegen haben die Leute ihnen den Zugang verweigert." Später seien sie alleine wiedergekommen und hätten mit mehreren Regimegegnern gesprochen. "Sie haben vieles gesehen", sagt der Aktivist. "Doch wir denken, dass diese Mission nur ein Manöver ist, um dem Regime mehr Zeit zu geben, die Proteste zu ersticken." Als die Menschen den Beobachtern ein getötetes Kind zeigen wollten, hätten sie abgewinkt: keine Zeit. Aufgebracht legten die Anwohner die Leiche auf die Motorhaube eines Wagens der Delegation. "Ein fünfjähriges Kind", ruft jemand. Bislang sollen die Beobachter außer in Homs in Hama, Idlib und Daraa sowie in einigen Vororten von Damaskus gewesen sein.

"Diese Mission ist schon jetzt zum Scheitern verurteilt", sagt der syrische Menschenrechtler Wissam Tarif. "Das Besorgniserregendste ist, dass sie sich in Begleitung von Sicherheitskräften bewegen: Wir wissen, dass drei Menschen verhaftet worden sind, nachdem sie von der Delegation befragt worden waren." Doch der Drang der Syrer, sich mitzuteilen, ist ungebrochen. "Die Menschen versuchen verzweifelt, der Arabischen Liga zu beweisen, dass sie die Wahrheit sagen", sagt Abu Mohammed, ein Aktivist aus Damaskus.

Hintergrund der Mission ist die Furcht der Arabischen Liga vor einem Bürgerkrieg in Syrien. Die Delegation soll überwachen, ob der Friedensplan der Liga eingehalten wird. Dazu gehört der Abzug des Militärs aus den Städten und eine Freilassung aller politischen Gefangenen. Unterdessen kursieren in Syrien Gerüchte, dass das Regime mit allen Mitteln versucht, die Delegation zu täuschen: Straßenschilder sollen ummontiert worden sein. Angeblich wurden Gefangene in militärische Einrichtungen verlegt, weil die Mission dort keinen Zutritt hat.