Die USA verlangen mehr von ihrem Verbündeten. Deutschland wird immer stärker zur Krieg führenden Nation - mit allen Konsequenzen.

Berlin. Seit der Amtsvorvorgänger von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) vor gut sieben Jahren sagte: "Wir verteidigen Deutschland nicht nur, aber auch am Hindukusch", streitet die Nation darum, ob SPD-Urgestein Peter Struck damit recht hatte oder nicht. Zwei von drei Deutschen sehen das anders als Struck, anders auch als die jetzige Koalitionsregierung in Berlin. Die Mehrheit der Deutschen will, dass die Bundeswehr abzieht aus Afghanistan, dies umso mehr nach dem erneuten tragischen Tod von vier Soldaten.

Es herrscht "freundliches Desinteresse" (Bundespräsident Horst Köhler) am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, dort, wo bisher 43 Bundesbürger in Uniform ihr Leben verloren haben. An diesem freundlichen Desinteresse hat die Politik erheblichen Anteil, weil sie den Truppeneinsatz nicht transparent macht, ihn nicht erklärt, ihn nicht adäquat benennt. Die Soldaten haben Halbheiten nicht verdient, ihr Einsatz verlangt nach Ehrlichkeiten, etwa dieser: Die Nato-Mission ist richtig, weil sie verhindert, dass das Land erneut Brutstätte für weltumspannenden islamistischen Terrorismus wird. Der Einsatz ist auch richtig, weil er mit seinen friedensichernden Aufbaukomponenten den Afghanen zu einem würdigen Dasein verhilft.

Doch vor dem Aufbau steht die Zerstörung. Die Zerstörung und Niederringung ideologisch verblendeter Fanatiker, die ihre totalitäre Interpretation der islamischen Religion einem ganzen Volk aufzwingen wollen, das nur noch eines will: Frieden. Mehr als 30 Jahre war das nicht so, und der neue Krieg steuert offensichtlich auf seinen Kulminationspunkt zu. Die USA haben diese Herausforderung verstanden und nehmen sie an: Truppenaufstockung lautete die Antwort von Barack Obama, der damit den geerbten Krieg zu dem seinen machte.

Damit einher ging ein Taktikwechsel, den niemand so sehr lebt und verkörpert wie der US-Befehlshaber für Afghanistan, Generalleutnant Stanley McChrystal. Der Experte für Spezialoperationen denkt in den Kategorien des Guerillakampfes. Er jagt die Taliban am Boden, um zivile Opfer durch unpräzise Luftangriffe zu vermeiden. Diese Taktik ist riskanter, weil sie mehr Präsenz in der Breite erfordert.

Der 55 Jahre alte General hat schon zu seinem Amtsantritt erklärt, er werde die Militäroperation in Afghanistan erst als Erfolg betrachten, wenn die Terrororganisationen al-Qaida und Taliban in Afghanistan und im Nachbarland Pakistan "komplett eliminiert" seien. Am Montag wird er in Berlin erwartet, und es steht nicht zu erwarten, dass er brav Komplimente an seine deutschen Gesprächspartner verteilt. Er hat einen klaren militärischen und auch politischen Auftrag - und nur wenig Zeit für dessen Erfüllung.

Seine Forderungen werden deutlich und schmerzhaft sein: Die etwa 2000 US-Soldaten, die zur Sommeroffensive in den Norden verlegt werden sollen, werden die deutschen Soldaten an der Front voll einbinden wollen - auch beim hochgefährlichen Häuserkampf. Dann ist es nicht ausgeschlossen, dass ein deutscher Soldat in Taliban-Hände gerät und der Staat mit Abzugsforderungen konfrontiert wird. Was dann? Die Deutschen werden sich darauf einstellen müssen, eine Krieg führende Nation zu sein mit allen daraus erwachsenden Konsequenzen. Die Nordprovinzen zurückzuerobern ist für die alliierten Truppen von großer Bedeutung, weil über sie zunehmend der Nachschub geführt wird. Die Konvois aus Pakistan werden im Grenzgebiet zu Afghanistan von den Taliban zu oft angegriffen oder gekapert.

Im Süden tobt bereits die von vielen Beobachtern theatralisch als "Entscheidungsschlacht" titulierte Auseinandersetzung zwischen der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) nebst afghanischen Truppenteilen und den Taliban. Mit 15 000 Soldaten, schwerem Gerät und Luftunterstützung entzieht die Isaf in der Operation "Muschtarak" (Gemeinsam) den selbst ernannten Gotteskriegern ihre Rückzugsräume. Die Opium-Hochburg Mardscha ist gefallen. Der Ring um Kandahar, die Hauptstadt des Südens, zieht sich zu.

Die Taliban weichen in den Norden aus, was die Deutschen zu spüren bekommen.

Die Isaf setzt auf die Strategie des "shape, clear, hold and build": Spähtrupps bereiten größere Offensiven vor (shape), mit denen dann die Taliban vertrieben werden (clear), um das eroberte Gebiet zu halten (hold) und aufzubauen (build). So weit ist die Bundeswehr noch nicht, das hat die Operation "Adler" in der nordafghanischen Provinz Kundus im vergangenen Sommer gezeigt. Damals konnten in einer Offensive der Deutschen im Verbund mit afghanischen Truppen die Taliban zwar vertrieben, das Gebiet aber nicht gehalten werden. Als sich die Truppen in ihre Feldlager zurückzogen, sickerten die Taliban wieder ein - und arbeiteten ihre Todeslisten mutmaßlicher afghanischer Kollaborateure ab.

Der Bundeswehr mangelt es vor allem an Lufttransportkapazität, an eigenen Jagdbombern und schwerer Bewaffnung. Erforderlich seien auch Spezialkräfte, die in der Lage sind, mithilfe spezieller Sensorik und moderner Elektronik weiträumig im Vorfeld aufzuklären, sagte ein hoher Bundeswehroffizier. Er empfiehlt die Aufstockung und Bereitstellung von drei Waffensystemen: der Panzerhaubitze 2000, die 35 Kilometer weit schießen kann und wovon der Verteidigungsminister zwei an den Hindukusch verlegen lassen will, dem Kampfpanzer "Leopard 2", der auf bis zu fünf Kilometer sehr wirkungsvoll trifft, und dem Schützenpanzer "Marder". Diese Waffensysteme schrecken durch ihre Präsenz ab und werden von den Niederlanden und Kanada in Südafghanistan bereits erfolgreich eingesetzt.

Da auch deutsche Jagdbomber vor Ort fehlen, müssen für Luftschläge immer wieder alliierte Jets angefordert werden, die das Terrain kaum kennen und im Endanflug nicht gelenkt werden können. Es fehlt an sogenannten "Joint Fire Support Teams", also der Koordinierung im gemeinsamen Kampf verschiedener Waffengattungen, es fehlt an "Beleuchtern", die Ziele mit Infrarottechnik markieren, es fehlt an Feuerlenkkontrollen.