Liu Xiaobo soll zum Staatsumsturz aufgerufen haben. Am Mittwoch begann sein Gerichtsprozess. Künstler und Passanten in Peking stellten sich an seine Seite und kritisierten die Staatsmacht.

Peking. Raum 23 ist der kleinste Verhandlungssaal im Mittleren Volksgericht Nummer 1, wo Pekings Justiz politische Häftlinge aburteilen lässt. Am Mittwoch, einen Tag vor Weihnachten, beginnt um neun Uhr früh ein drei Stunden dauernder Prozess gegen den 1955 geborenen Liu Xiaobo.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Bürgerrechtler versuchte Anstiftung zum Staatsumsturz vor, auf die bis zu 15 Jahre Haft stehen. Sie legt ihm sechs systemkritische Artikel zur Last, die der einstige Literaturdozent im Internet veröffentlicht hat.

Weiterer Anklagepunkt, so berichtet sein Bruder Liu Xiaoxuan, ist das von Liu Xiaobo mitentworfene Manifest der "Charta 08". Es ist ein Plädoyer für ein rechtsstaatlich verfasstes, auf Gewaltenteilung basierendes und durch Wahlen legitimiertes China.

Die Forderungen der Charta zeigen Breitenwirkung: Mit Liu unterschrieben sie 303 Personen, darunter Dutzende Anwälte. Tausende weitere haben sie seither unterzeichnet. Aber nur Liu wird angeklagt.

Peking ließ außer Lius beiden Anwälten nur seinen Bruder Liu Xiaoxuan zum Prozess zu. Er schilderte, wie selbstbewusst Liu vor Gericht auftrat.

Er hätte sich selbst verteidigt. Er sei unschuldig, da seine Internetartikel "niemanden aufhetzten" und im Rahmen seiner von der Verfassung geschützten Bürgerrechte auf freie Meinungsäußerung stünden.

Dem Bruder fiel aber auch Lius Blässe nach dessen einjähriger Untersuchungshaft auf, die er monatelang ohne Fenster und Sonnenlicht verbringen musste. Am 25. Dezember will das Gericht sein Urteil sprechen. Das Weihnachtsfest wird in China offiziell nicht gefeiert. Pekings Kalkül dabei: Es gibt so weniger Zeugen für die rechtsbeugende Willkür. Die meisten Korrespondenten sind bereits in den Weihnachtsferien, Zeitungen erscheinen nicht.

In Raum 23 können nur 18 Zuhörer Platz finden. "Alle Prozesskarten sind vergeben" sagt ein Richter einer Gruppe Diplomaten aus 14 Botschaften in Peking, darunter auch aus der deutschen Mission. Die Diplomaten bitten, den Prozess beobachten zu dürfen, nachdem sie sich seit Tagen vergebens um Einlasskarten bemüht haben. Ausländer hätten kein Recht, an Prozessen teilzunehmen, sagt nun der Richter.

Eine Woche zuvor hatte eine Sprecherin des Außenministeriums alle Appelle der USA und der EU, Liu Xiaobo freizulassen, brüsk zurückgewiesen: In China herrsche das Recht. Vollends zur Farce aber wird das "öffentliche" Verfahren, als die Justiz selbst die Frau von Liu Xiaobo vom Prozess ausschließt.

Sie sei angeblich eine Zeugin, wird ihr gesagt, und dürfe deshalb nicht in den Gerichtssaal. Um sicher zu gehen, dass sie zu Hause bleibt, hindern sie die Behörden, das Haus zu verlassen. "Ich bin so wütend. Was sind das nur für Menschen?", sagt Frau Liu Xia.

Auch andere Unterzeichner der Charta 08 werden an diesem Mittwoch unter Hausarrest gestellt, vom ehemaligen Parteifunktionär Bao Tong, der Gründerin der Tiananmen-Mütterinitiative Ding Zilin bis zum Autor Yu Jie. Die Polizei sperrte zudem alle Zugänge zum Gerichtsgebäude und richtete 60 Meter vom Gerichtseingang entfernt ein Areal speziell für Journalisten ein, in der Hoffnung, diese fernzuhalten.

Viele Unterzeichner der Charta 08 tarnen sich als Spaziergänger und finden den Weg zu den Journalisten, darunter auch der weltbekannte Konzeptkünstler Ai Weiwei. Überraschend erklärten sich auch junge Passanten solidarisch mit Liu Xiaobo und verteilten "gelbe Bänder" als Zeichen der Hoffnung.