Washington. Mit Freudentränen, jubelnd geballten Fäusten und dem, laut Zeugen, lautesten Triumphgeheul seit Jahren haben die Demokraten im US-Repräsentantenhaus in der Nacht zum Sonntag die Verabschiedung ihrer Gesundheitsreform gefeiert.

Zwar fiel die Abstimmung mit 220 (von 218 nötigen) Ja-Stimmen zu 215 Ablehnungen wegen 39 Verweigerern bei den Demokraten äußerst knapp aus. Und es bedeutet nur das Überwinden der ersten von drei parlamentarischen Hürden. Doch kann das Gesetz als die wichtigste Sozialreform der USA seit 1965 gelten.

Damals waren mit einer starken Kongressmehrheit der Demokraten staatliche Krankenversicherungen für Arme (Medicaid) und Bürger über 65 Jahre (Medicare) garantiert worden.

Für Präsident Barack Obama, der bis zuletzt wankelmütige Parlamentarier offen und in drohenden Telefonaten mit dem "Ruf der Geschichte" auf Kurs zu bringen suchte, ist dies der erste große Erfolg in einem von Rückschlägen und Zaudern geprägten ersten Jahr. Obama hat sein ganzes Prestige an eine Gesundheitsreform gebunden, die allen Amerikanern, auch den heute 47 Millionen Nichtversicherten, einen Schutz im Krankheitsfall sichern soll. Das 1990 Seiten starke und 1,2 Billionen Dollar teure Gesetzespaket sieht eine Pflichtversicherung für 96 Prozent der Amerikaner vor. Der Minderheitsführer im Senat, John Boehner, rief bei einer Demonstration den Senat und alle Bürger zum Widerstand gegen "die größte Bedrohung der Freiheit in meinen 19 Jahren in Washington" auf.

Stunden vor der Abstimmung skandierten Hunderte Gegner der Reform unter Anfeuerung durch republikanische Abgeordnete vor dem Kapitol "Tyrannei!" und "Nieder mit Mao! (Obama)". Auch im Repräsentantenhaus war es hoch hergegangen. Abgeordnete schrien einander an, schnitten sich das Wort ab, Einsprüche ("I object!) flogen zu Dutzenden hin und her.

Hinter den Kulissen drohte das Weiße Haus abtrünnigen Demokraten mit Gegenkandidaten bei parteiinternen Vorwahlen. Barack Obama und die Fraktionsführerin Nancy Pelosi appellierten an konservative Demokraten, die um ihr Mandat bei den Kongresswahlen 2010 fürchten: "Wenn Sie glauben, die Republikaner würden Sie nicht angreifen, wenn Sie mit Nein stimmen", drohte Obama freundlich, "irren Sie gründlich."

Doch es ging nicht nur um Ideologie, sondern um Gewissensentscheidungen, genauer: eine indirekte staatliche Subventionierung von Abtreibungen. Mindestens 40 Abgeordnete aus überwiegend katholischen Wahlkreisen hatten sich dem Widerstand von Bart Stupak, einem Abtreibungsgegner aus Michigan, angeschlossen. Die katholische Bischofskonferenz hatte in einem Brief die Revolte unterstützt. Am Ende erzwang Stupak einen Zusatz, der von 64 Demokraten gemeinsam mit den Republikanern durchgesetzt wurde.

Fest steht indessen, dass die Reform nicht in der nun verabschiedeten Form Gesetz wird. Der Senat muss seinen eigenen Entwurf vorlegen, der dann in einem Vermittlungsausschuss abgeglichen und endlich in beiden Kammern angenommen werden muss, bevor Präsident Obama seine Unterschrift daruntersetzen kann. Der Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, braucht 60 Stimmen, um eine Blockade des Gesetzes durch die Republikaner zu unterbinden. Selbst wenn Reid den Skeptikern eine weitgehende Schwächung der staatlichen Eingriffe bei der Reform anbietet, sind die Demokraten noch lange nicht für 60 Stimmen gut. Wiederum zögern Senatoren, die den Zorn der Wähler für die von den Republikanern verteufelte Reform fürchten.