Ohne die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung muss die Nato nach Ansicht des deutschen Generals Egon Ramms einen Abzug aus dem Land erwägen

Kabul/Berlin. . "Die Bedrohung liegt darin, dass es den Taliban möglicherweise gelingt, uns die Bevölkerung zu entwinden", sagte der Befehlshaber des Nato Allied Joint Force Command in Brunssum dem ARD-Hörfunkstudio Südasien. "Wenn wir die Unterstützung der Bevölkerung nicht gewinnen, müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir das Land nicht verlassen müssen." Gleichwohl betonte Ramms, bei einer besseren Unterstützung der Bevölkerung "haben wir eine gute Chance, den Taliban irgendwann den Boden zu entziehen". Dann könne der Einsatz "ohne wahnsinnige Mengen von Toten" zum Abschluss gebracht werden.

Ramms ist Vorgesetzter des Kommandeurs der Internationalen Schutztruppe Isaf, Stanley McChrystal. McChrystal hat gestern in Brüssel Ramms und dem amerikanischen General David Petraeus seine "strategische Einschätzung" der Lage vermittelt. "Die Lage in Afghanistan ist ernst, aber Erfolg ist erreichbar", sagte er. Nach Angaben seines strategischen Beraters David Kilkullen gewinnen die Taliban immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Sie führten parallel zu Einrichtungen der Regierung bereits eigene Gerichte und Krankenhäuser.

Kilkullen warf der Regierung in Kabul vor, sie habe es versäumt, mit den Menschen in Verbindung zu bleiben. Sie müsse verstärkt die Korruption in den eigenen Reihen bekämpfen und die Versorgung der Bevölkerung zügig verbessern. Die Bevölkerung wende sich in immer mehr Fragen an die Taliban, warnte er. Niemand gehe wegen einer gestohlenen Ziege oder eines Fahrrads zur Polizei.

Wie zur Unterstreichung der Lage teilte die Isaf mit, bei zwei Anschlägen im Süden des Landes seien gestern zwei US-Soldaten getötet worden. An der Grenze zu Pakistan gingen bei einem Anschlag auf einen Nachschubkonvoi für die Truppen in Afghanistan rund 25 Tank- und Lastwagen in Flammen auf. Die Polizei teilte mit, Extremisten hätten am Sonntagabend vermutlich einen Sprengsatz an einem der Öltanker ferngezündet. Nach dem Anschlag sei bei einem Feuergefecht zwischen Extremisten und Sicherheitskräften mindestens ein Soldat verwundet worden.

Währenddessen haben sich mehr als 200 Psychotherapeuten, Psychologen und Ärzte mit einem offenen Brief an Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) gegen eine "Instrumentalisierung" ihrer Berufsstände durch die Bundeswehr gewendet. "Den Aufruf des Verteidigungsministeriums, uns an der Behandlung von traumatisierten Soldaten zu beteiligen und uns damit für die Kriegsführung der Bundesregierung instrumentalisieren zu lassen, weisen wir zurück", erklären die Unterzeichner.

Die Politik erwecke den Eindruck, ein posttraumatisches Belastungssyndrom lasse sich per Psychotherapie dauerhaft beheben, heißt es in dem gestern veröffentlichten Schreiben der Ärzteorganisation IPPNW zum Antikriegstag am 1. September.

Nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan zeichnet sich auch weiterhin keine absolute Mehrheit für Amtsinhaber Hamid Karsai ab. Bislang komme er auf 45,8 Prozent, Ex-Außenminister Abdullah auf 33,2 Prozent. Es gibt jedoch mehr als 2500 Beschwerden wegen mutmaßlichen Wahlbetrugs.