Eine Woche nach der Ermordung der Bürgerrechtlerin Natalja Estemirowa sorgt in Russland der Tod eines weiteren Menschenrechtsaktivisten für Aufsehen.

Moskau. In der Teilrepublik Karelien an der Grenze zu Finnland wurde der Leiter der örtlichen Organisation Sprawedliwost ("Gerechtigkeit"), Andrej Kulagin, tot aufgefunden. Kollegen vermuteten, dass Kulagin im Zusammenhang mit seinem Einsatz für einen humaneren Strafvollzug ermordet wurde, wie der Radiosender Echo Moskwy berichtete.

Kulagin habe sich aktiv für die Rechte von Strafgefangenen in Russland eingesetzt, erklärte der Leiter der Organisation Sprawedliwost, Andrej Stolbunow, in Moskau. Er habe in Karelien im Nordwesten des Landes die Zustände in den dortigen Gefängnissen untersucht. "Es gibt keinen Zweifel, dass Kulagin ermordet wurde", sagte Stolbunow. Die Organisation, deren Regionalbüro Kulagin leitete, werde von den Behörden immer wieder unter Druck gesetzt und bedroht. "Und jetzt töten sie unsere Kameraden." Die Polizei bestätigte zunächst nur den Tod Kulagins, der bereits am 10. Juli in einer Sandgrube bei der Stadt Petrosawodsk gefunden worden sei.

Kulagin war seit dem 14. Mai vermisst worden. Er habe damals am späten Abend sein Haus verlassen, um sich zu einem telefonisch vereinbarten Treffen zu begeben, meldete die Agentur Ria Nowosti. Ein Taxifahrer sagte später aus, er habe Kulagin zu einem Café gebracht.

Die Organisation Sprawedliwost informierte erst knapp zwei Wochen nach dem Fund der Leiche die Öffentlichkeit über den Tod Kulagins. Der Grund für diese Verzögerung blieb zunächst unklar. Die Polizei teilte mit, ihr sei nichts bekannt von einer Arbeit des Opfers als Menschenrechtler. Nach ihren Erkenntnissen sei Kulagin vorbestraft gewesen, unter anderem wegen Rowdytums.

Eine andere Menschenrechtsorganisation in Petrosawodsk bezeichnete Kulagin nach Angaben der Agentur Interfax als Unternehmer, der einen humanen Strafvollzug unterstützt habe.

Erst vor gut einer Woche war die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa entführt und getötet worden, eine respektierte Aktivistin, die die Kreml-nahe Führung Tschetschenien mehrfach kritisiert hatte. Ihr gewaltsamer Tod sorgte weltweit für Entsetzen und Empörung. Estemirowa hatte ebenso wie die 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja Verbrechen an tschetschenischen Zivilisten aufgedeckt. Regierungskritiker befürchten, dass im Fall Estemirowa die Auftraggeber und Täter ebenso unbehelligt bleiben wie nach anderen Morden an Menschenrechtsaktivisten in Russland.

Der Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial, Oleg Orlow, hat Tschetscheniens Präsidenten Ramsan Kadyrow für den Mord an Estemirowa verantwortlich gemacht. Kadyrow streitet die Vorwürfe ab und hat Orlow inzwischen wegen Verleumdung verklagt.

Der Mord an Anna Politkowskaja wird in zwei Wochen erneut vor Gericht kommen. Die ersten Anhörungen seien für den 5. August angesetzt, sagte die Anwältin der Familie Politkowskajas, Anna Stawizkaja. Die Voranhörungen beginnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

In den Voranhörungen soll unter anderem entschieden werden, ob der Prozess öffentlich oder hinter verschlossenen Türen geführt werde. Der erste von Skandalen überschattete Prozess endete im Februar 2009 mit einem Freispruch der Angeklagten. Prozessbeobachter warfen der Staatsanwaltschaft eine "lückenhafte und pannenreiche" Ermittlungsarbeit vor. Im Juni kassierte der Oberste Gerichtshof den Freispruch..

Der mutmaßliche Todesschütze ist flüchtig. Angeklagt sind vier mutmaßliche Mittäter, die Brüder Dschabrail und Ibrahim Machmudow, der Ex-Polizist Sergej Chadschikurbanow sowie der ehemalige Geheimdienst-Offizier Sergej Rjagusow