Das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union zu stärken, den Reformvertrag von Lissabon schnell einzuführen, Antworten auf die Wirtschafskrise zu finden - die Prioritäten des neuen Präsidenten des EU-Parlaments sind wenig überraschend.

Straßburg/Warschau. Doch als Jerzy Buzek nach den künftigen Beziehungen des Abgeordnetenhauses zu Russland gefragt wurde, fand der Pole deutliche Worte: Er werde kompromisslos für die Grundsätze von Demokratie und Menschenrechten eintreten. "Und diese Grundsätze sind in Russland andere als bei uns."

Mit dieser knappen Ansage machte Buzek eine halbe Stunde nach seiner Wahl zum neuen Vorsitzenden des EU-Parlaments gestern klar, dass mit ihm als erstem Osteuropäer in diesem Amt auf einigen Politikfeldern eine neue Perspektive einzieht. Buzeks Eintreten für die Interessen der neuen Mitglieder kommt nicht von ungefähr: Als polnischer Premierminister führte er seinerzeit die Beitrittsverhandlungen nicht nur zur EU, sondern auch zur Nato und zementierte damit die feste Verankerung des ehemals kommunistischen Landes in der westlichen Gemeinschaft.

Fünf Jahre nach dem Beitritt von acht mittel- und osteuropäischen Staaten hat einer ihrer Vertreter nun eines der höchsten Ämter eingenommen. "Die neuen Mitglieder könnten jetzt endlich Politikmacher werden, statt Politikempfänger zu bleiben", so Heather Grabbe, Chefin des Open Society Institute in Brüssel. Denn in der EU-Hauptstadt ziehen die Neuen aus dem Osten nach Meinung vieler Beobachter bisher kaum die Strippen, wenn es um Machtfragen geht. Sie konzentrieren sich auf nationale Interessen und nicht auf das große Ganze. Vor allem Polen unter der konservativen Regierung der Kaczynski-Zwillinge blockierte immer wieder wichtige Gemeinschaftsprojekte. Zugleich machte es die in vielen Ländern herrschende politische Instabilität ihren Vertretern in Brüssel schwer, sich zu etablieren.

Formal betrachtet mache ihn das Amt zu dem "seit dem Tod Johannes Pauls II. wichtigste Pole der Welt", freute sich die polnische Zeitschrift "Polityka". Dabei gehörte Jerzy Buzek in seiner Heimat stets zu den Stillen. Er musste sich nie um irgendwelche Posten aktiv bemühen, sondern stand ruhig beiseite, bis er gefragt wurde. Mit dem EU-Parlament einen Flohzirkus widerstreitender Interessen zu bändigen ist keine ganz neue Aufgabe für ihn. 1981 hatte er zum ersten Mal Gelegenheit dazu: auf dem ersten Kongress der Solidarnosc-Bewegung in einer Sporthalle in Danzig.

Nach den ersten polnischen Europawahlen 2004 war Buzek nach Straßburg gezogen. 2009 konnte er in seiner Heimatregion Oberschlesien seinen Stimmenanteil mehr als verdoppeln. Buzek wurde 1940 im Gebiet um die heutige polnisch-tschechische Grenzstadt Teschen (Cieszyn) geboren. Früh verlor er seinen Vater, doch früh träumte er auch einen Traum: Irgendwann einmal wollte er Abgeordneter in einem freien Polen sein.

Schon jetzt gilt der Kompromiss, dass nach zweieinhalb Jahren der Deutsche Martin Schulz für die Sozialisten Buzeks Posten übernehmen wird. Der Pole wiederum folgte gestern dem Deutschen Hans-Gert Pöttering nach. Ein Pole, eingerahmt von zwei Deutschen, repräsentiert Europa. Wer hätte das einst zu hoffen gewagt?