Das Datum war mit Bedacht gewählt: Am Tag vor dem Treffen der wichtigsten Industrienationen beim G8-Gipfel hat sich Papst Benedikt XVI. mit seiner ersten Sozialenzyklika unüberhörbar in die Diskussion um die globale Wirtschafts- und Finanzkrise eingeschaltet.

Hamburg/Rom. In dem Dokument mit dem Titel "Caritas in veritate" (Liebe in Wahrheit) erteilt er einer ungezügelt auf Kapitalinteressen setzenden Globalisierung eine klare Absage.

"Die Krise verpflichtet uns, uns neue Regeln zu geben", mahnt der Papst und fordert zu einem radikalen Umdenken auf. An den Anfang aller Überlegungen aber stellt er das "Grundgesetz" der katholischen Soziallehre: Wirtschaft und Finanzwesen sind für die Entwicklung des Menschen da und nicht umgekehrt. Ausgangspunkt aller sozialen und wirtschaftlichen Verantwortung sei "die Liebe, die Gott den Menschen zum Geschenk gemacht hat". Ohne Liebe zum Menschen werde das soziale Handeln "ein Spiel privater Interessen und Logiken der Macht, mit zersetzenden Folgen für die Gesellschaft".

Wirtschaft und Finanzwesen seien nur "Werkzeuge", um angemessene Bedingungen für die Entwicklung des Menschen und der Völker zu schaffen. Der Markt an sich sei nicht zerstörerisch, aber die Gier. Der Markt könne schädlich wirken, "weil eine gewisse Ideologie ihm diese Ausrichtung geben kann", schreibt der Papst den Neoliberalen ins Stammbuch. Es sei zunehmend "eine kosmopolitische Klasse von Managern" aufgetreten, "die sich oft nur nach den Anweisungen der Hauptaktionäre richten", anstatt nachhaltig den Bestand des Unternehmens zu sichern.

Als Antwort auf die Krise rief der Papst zur Etablierung "einer echten politischen Weltautorität" auf. Eine solche Autorität, die bereits sein Vorgänger Johannes Paul II. vorgeschlagen hatte, sei "dringend nötig", um die Weltwirtschaft zu steuern, die Krise zu begrenzen, Ungleichheiten vorzubeugen, "Sicherheit und Frieden zu nähren" und auf eine "vollständige Abrüstung" hinzuwirken.

Die Reaktionen auf Benedikts insgesamt drittes Lehrschreiben seit Beginn seines Pontifikats waren gestern durchweg positiv. Die Sozialenzyklika sei "ein großartiges Werk", das die Voraussetzungen einer menschengerechten und menschenwürdigen Entwicklung vor Augen führe, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. "Für Papst Benedikt ist die Globalisierung kein blindes Schicksal", sagte der Hamburger Erzbischof Dr. Werner Thissen dem Abendblatt. "Sie ist eine Aufgabe, die gestaltet werden muss: von einzelnen Menschen, von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie z. B. den Kirchen, aber gerade auch von Staaten."

Die Sozialenzyklika sei ein "wichtiger Schub" und "für uns eine Bestärkung, mit der G20 eine neue Ordnung zu schaffen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). gestern in Berlin. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) würdigte, dass der Papst marktradikale Tendenzen "mit großer moralischer Verve" verwerfe und sich "für gerechte Entlohnung, für würdevolle Arbeit und für starke Gewerkschaften" ausspreche.