Die Moslems im Palästinenserlager Aida freuen sich auf das Oberhaupt der katholischen Kirche.

Philip Volkmann-Schluck berichtet aus Bethlehem

Vielleicht wird alles bald abgerissen. Aber noch wächst das Theater, Stein um Stein. Die Bauarbeiter überlegen nicht lange, ehe sie antworten: "Er kommt um Viertel vor fünf." Offenbar freuen sie sich auf den Gast, dessen Bühne sie hier bereiten - obwohl fast alle von ihnen Moslems sind. Papst Benedikt XVI. wird im Rahmen seiner historischen Reise ins Heilige Land am 13. Mai hierherkommen, in das palästinensische Flüchtlingslager Aida bei Bethlehem, das im Westjordanland liegt. Nicht weit entfernt, vor dem Eingangstor, stehen israelische Soldaten. Sie beobachten die Baustelle, auf der die Arbeiter Steine aufschichten. Schließlich liegt sie in unmittelbarer Nachbarschaft zu der zehn Meter hohen Mauer, die die Grenze zum israelischen Gebiet markiert und die sich scheinbar endlos über die steinigen Hügel zieht.

In dieser Region ist kein Spatenstich ohne politische Bedeutung. Aber schon gar nicht der Besuch des deutschen Pontifex, der überhaupt erst der dritte Papst ist, der seit der Gründung Israels 1948 hierher, in den überlieferten Geburtsort von Jesus Christus kommt. "Das Recht auf Rückkehr" symbolisiere das Lager, sagte Fouad Twal , lateinischer Patriarch in Jerusalem und somit zweithöchster Geistlicher nach dem Papst in Israel. Auf ihre Rückkehr warten die Palästinenser des Aida-Camps seit 1950. Damals wurden sie nach dem israelisch-arabischen Gründungskrieg aus ihren Dörfern in der Umgebung vertrieben. Nach Angaben der Uno leben heute insgesamt 180 000 Flüchtlinge in 19 Lagern im Westjordanland. Zwei Prozent davon sind Christen. In Bethlehem ist ihr Anteil deutlich höher. Die Zahlen schwanken je nach Quelle zwischen 25 Prozent (Ökumenischer Kirchenrat) und mehr als 50 Prozent (Generaldelegation Palästinas). Klar ist nur, dass ihr Anteil rapide abnimmt. Wer es sich leisten kann, verlässt die instabile Region.

Es gibt aber auch Beispiele für eine gute Nachbarschaft. "Bei uns bemalen Familien beider Religionen zusammen Ostereier", sagt Abelfattah Abusrour. Der gläubige Moslem und promovierte Ingenieur leitet das Kulturzentrum im Aida-Flüchtlingslager. Hier üben derzeit 40 Kinder eine Aufführung mit Tanz und Musik, um den Papst zu empfangen. "Er ist ein Mann des Glaubens, das respektieren wir." Das stehe schließlich im Koran, in Sure 2, 62: Sinngemäß heißt es dort: Alle, die an Gott und den Jüngsten Tag glauben, denen steht bei ihrem Herrn Lohn zu, und sie werden nicht traurig sein. Abusrour glaubt zwar nicht, dass der Papst die Lage der Flüchtlinge kommentieren wird. "Sein Statement ist, dass er überhaupt kommt." Und wenn der Papst von Gerechtigkeit rede und dabei vor der Mauer des Lagers stehen werde, "dann bedarf es keiner weiteren Worte", sagt Abusrour.

Die Sicherheitslage ist eine der größten Schwierigkeiten beim Besuch des Papstes. Joseph Ratzinger wird bei seiner Nahost-Reise vom 8. bis 15. Mai an der Klagemauer in Jerusalem stehen, die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem und eben das Flüchtlingslager Aida besuchen. Zum Auftakt wird der 82-Jährige in Jordanien erwartet. "Auf den Spuren meiner Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. werde ich zu den wichtigsten Stätten unseres Glaubens pilgern", sagte der Papst gestern beim Mittagsgebet in Rom. Er komme als "Pilger des Friedens" und wolle mit seiner Visite "die Christen im Heiligen Land, die täglich Schwierigkeiten ausgesetzt sind", ermutigen.

Israel wird den Pontifex während seines dreitägigen Besuchs mit 1000 Sicherheitskräften schützen. Zehn Millionen Euro gibt Jerusalem dafür aus. Einen Teil des Geldes werden die erwarteten rund 200 000 zusätzlichen Touristen in diesem Jahr wieder hereinbringen. Allerdings kaum im Westjordanland, die meisten Besucher fahren nach einem Tagesausflug wieder zurück nach Jerusalem. Dort fühlen sie sich sicherer.

Im Lager Aida, benannt nach einem einst beliebten Kaffeehaus, ist es in diesen Tagen noch ruhig. Es duftet nach frischer Falafel, Jasmin und Koriander. Aida - das sind verwinkelte Gassen und vierstöckige schmucklose Häuser auf 60 000 Quadratmetern. Die meisten der 5000 Einwohner sind hier geboren. Mädchen in engen Jeans mit offenen Haaren laufen durch die Straßen. Vorbei an Samira Ahmad. Die Frau trägt ein schwarzes Kopftuch. Sie sagt: "Es ist gut, dass der Papst kommt. Vielleicht fängt dann etwas Neues an." Denn in den vergangen Jahren habe sich die Situation nur verschlimmert.

Nach Angaben der Uno ernähren sich 468 Familien hier ausschließlich über Hilfspakete. Kaum jemand hat Arbeit. "Nur zehn Leute von uns dürfen Israel betreten, um dort einen Job zu suchen", sagt Samira Ahmad. Sie hoffe, dass mit dem Papst auch das Fernsehen komme: "Die Welt soll sehen, wie wir hier leben."

Das hofft auch Murad Abusar. Als Kind spielte der 22-Jährige noch auf einer Wiese neben dem Lager Fußball. Dort steht jetzt die Mauer, die Premierminister Ariel Sharon im Jahr 2003 bauen ließ. Abusar hat einen Film gedreht über die Gastarbeiter, die jeden morgen um vier Uhr darauf warten, dass die Grenze nach Jerusalem öffnet. Er sagt: "Eigentlich müsste der Papst das auch sehen, aber er kommt ja mit dem Auto."

Der Gang, den Papst Benedikt nicht gehen wird, ist etwa 200 Meter lang. Ein Zaun mit messerscharfen Spitzen an beiden Seiten, am Ende ein Drehkreuz, das per Fernsteuerung öffnet und schließt. Pass vorzeigen, durchsuchen lassen, noch einmal Pass vorzeigen. Um vier Uhr morgens, wenn Hunderte Palästinenser hier durchgehen, um in Israel zu arbeiten, dauert das manchmal Stunden. Abusars Film wurde bereits mehr als 30 000-mal auf dem Internetportal YouTube angeschaut. Natürlich ist sein Ziel, damit weltweit Kritik zu schüren. Abusar glaubt: "Egal, auf welcher Seite man steht, wer hier durchgeht, wer das sieht, verändert sich."

Elias Al-Najjar dagegen ist froh, in Bethlehem zu leben. Er ist Christ und vor zwei Jahren aus Gaza geflohen. Anders als in Bethlehem ist dort die radikalislamische Hamas an der Macht. Sein Freund Rami Ayyad wurde dort vor zwei Jahren ermordet. Jetzt fühle er sich jedoch nicht bedroht, bestätigt Elias Al-Naj-jar, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern hierherkam. Politische Signale erhoffe er indes kaum von dem Besuch des Papstes. Es sei eher ein Besuch der Heiligen Stätten hier. Dennoch weiß Elias Al-Najjar, dass der Pontifex sich über die Situation informieren werde. "Hier leben viele Christen, die jeden Tag mit den Geistlichen über ihre Probleme reden. Dass sie keine Arbeit finden oder nicht studieren können. Es ist Brauch, dass die Priester dem Papst über die Sorgen in ihrer Gemeinde be-richten."

Nach nur vier Stunden ist das Theater wieder ein Stück gewachsen. Genau beobachtet von den israelischen Soldaten. Drei Stockwerke haben die israelischen Behörden erlaubt. "Bis der Papst kommt, werden sie es uns vielleicht bauen lassen", sagt Abelfattah Abusrour, Leiter des Kulturzentrums. Er scheint fest entschlossen, den Pontifex an der Grenzmauer zu empfangen, die zum Symbol des Nahost-Konflikts geworden ist. Auch könnte er dem Papst den rostigen Schlüssel zeigen, den er noch immer aufhebt: der Schlüssel zum Haus seiner Eltern. Zu einem Haus, das es nicht mehr gibt. Denn dort, wo früher palästinensische Dörfer waren, stehen jetzt an vielen Orten jüdische Siedlungen. Vielleicht wird eines Tages die Grenzmauer abgerissen, und die Bewohner dürfen sich wenigstens wieder frei bewegen.

Doch erst mal warten sie auf den Papst.