Regierung, Rebellen und Kriminelle kämpfen um die Öleinnahmen des Landes. Ausländer geraten zwischen die Fronten.

Hamburg/Abuja. Unruhiges Nigeria: Rebellen drohen, in den nächsten 30 Tagen eine der wichtigsten Rohöl-Pipelines im Niger-Delta zu zerstören. Anhänger der Bewegung zur Befreiung des Nigerdeltas (MEND) wollen auf diese Weise eine "Schutzgeldzahlung" der staatlichen Ölgesellschaft an andere, meist kriminell bewaffnete Gruppen verhindern. "Die Grenzen sind fließend zwischen Rebellen und Kriminellen. Unter den Rebellen gibt es deshalb Querelen", sagt Dirk Kohnert vom GIGA Institut für Afrika-Studien in Hamburg dem Abendblatt.

Die MEND ist eine der wichtigsten Rebellengruppen im Delta, die für eine gerechte Verteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft kämpft. Die Gruppe wird allerdings auch für Entführungen verantwortlich gemacht. Dabei konzentriert sie sich meist auf Angestellte aus dem Ölsektor. "Die MEND ist vergleichbar mit der Eta. Sie hat einen politischen und einen militärischen Arm, die sehr eng zusammenarbeiten", so Kohnert.

Hoffnung keimt für die zwei entführten Deutschen auf: Die MEND kündigte vor einigen Tagen an, sich für deren Freilassung starkzumachen. Die zwei Ingenieure des Unternehmens Julius Berger Nigeria, eines Tochterunternehmens des Mannheimer Baukonzerns Bilfinger Berger, waren am 11. Juli auf einer Baustelle bei Port Harcourt gekidnappt worden. Die beiden Entführten gehörten nicht dem Energiesektor an, sondern seien zum Aufbau der Infrastruktur im Niger-Delta gewesen, begründet die Gruppierung ihren Einsatz für die Geiseln. "Die MEND hat die Täter aufgespürt und identifiziert und wird mit den Entführern Verhandlungen aufnehmen", erklärte ein MEND-Sprecher. Bereits im März war ein Mitarbeiter Julius Bergers in Port Harcourt entführt worden. Er hatte ein Straßenbauprojekt inspiziert. Nach etwa zwölf Stunden wurde er aus der Geiselhaft entlassen. Das Unternehmen behauptet, kein Lösegeld bezahlt zu haben. Westafrika-Experte Kohnert sieht ein gutes Ende für die beiden Geiseln voraus: "Die Chancen auf eine Freilassung sind sehr groß, da bis jetzt immer Lösegeld gezahlt wurde. Auch wenn niemand darüber sprach."

Der Baukonzern hatte angekündigt, sich vorerst aus den besonders gefährdeten Gebieten Nigerias zurückzuziehen. Die Aktivitäten in der Region sollen nur wieder aufgenommen werden, wenn es dort dauerhaft sicher ist. Für eine Rückkehr gibt es gute Gründe: "Die deutschen Firmen wollen weitere Aufträge, wollen am Geldhahn bleiben", sagt Kohnert. "Wenn die Unternehmen die Aufträge und die Lösegeldzahlung gegeneinander aufrechneten, so kamen sie bisher meist zu dem Ergebnis, dass es sich trotzdem lohnt, im Geschäft zu bleiben - auch wenn das nicht 'politisch korrekt' ist." Nigeria ist zwar der größte Ölproduzent Afrikas, doch Entführungen von Mitarbeitern und Anschläge auf Förderanlagen haben bereits zu einem Rückgang der Fördermenge um 25 Prozent geführt. Für Nigerias Regierende ein herber Schlag, da rund 90 Prozent der Staatseinnahmen aus dem Ölgeschäft stammen.