Ankara. Im Verbotsprozess gegen die in der Türkei regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan haben Vertreter der Partei vor dem Verfassungsgericht in Ankara ihr Schlussplädoyer gehalten. Eine Delegation unter Leitung von Vize-Regierungschef Cemil Cicek und dem stellvertretenden Vorsitzenden der Parlamentsfraktion Bekir Bozdag wies gestern den Vorwurf der Staatsanwaltschaft zurück, die AKP betreibe eine Islamisierung des Landes.

Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya hatte am Dienstag seine Forderung nach einem Verbot der AKP bekräftigt, weil die Partei ein "Zentrum anti-laizistischer Aktivitäten" geworden sei. Ein Urteil wird noch im Sommer erwartet.

Die Sitzung hinter verschlossenen Türen dauerte mehrere Stunden. Cicek und Bozdag erläuterten vor den elf Richtern noch einmal die Argumente der Verteidigung, die diese bereits schriftlich vorgelegt hatte. Die AKP spricht von einer politisch motivierten Kampagne der kemalistischen Elite des Landes. Die Kemalisten, die sich auf Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk berufen, hatten lange Zeit die wichtigsten Machtpositionen der Türkei inne und sind vor allem in der Armee, der Justiz und Teilen der Bürokratie nach wie vor die bestimmende Kraft.

Während der Fußball-Europameisterschaft standen die Türken geeint hinter ihrer Mannschaft, freuten sich über die Erfolge und trauerten wegen des Ausscheidens gegen die deutsche Mannschaft. Jetzt aber ist der innertürkische Machtkampf wieder voll entbrannt. Die Kemalisten verstehen Atatürks Erbe als in Stein gemeißelt und wollen den türkischen Staat nicht reformieren, sondern als Kontrollinstrument der Gesellschaft erhalten.

Auf der anderen Seite steht eine aufstrebende und konservative Mittelschicht, die sich von der religiös geprägten AKP politisch gut vertreten fühlt. Erdogan verkauft seine Partei als wertkonservative "türkische CDU", die mit islamischem Fundamentalismus nichts am Hut habe. Die Kemalisten glauben Erdogan nicht, bezeichnen ihn als Wolf im Schafspelz und unterstellen ihm eine "geheime Agenda" zur Islamisierung des Landes.

Nach der Anhörung wird der Berichterstatter des Gerichts seine Empfehlungen verfassen. Dann soll festgelegt werden, wie lange die Richter beraten und wann das Urteil ergehen soll.

Die meisten Beobachter rechnen mit einem Verbot der AKP, weil acht der elf Verfassungsrichter noch vom früheren Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer bestellt wurden und als Gegner der Regierung gelten. Zudem hatte das Gericht erst vor Kurzem eine Verfassungsänderung zur Kopftuchfrage als anti-laizistisch gewertet. Die von der AKP durchgesetzte Legalisierung des Kopftuchs für muslimische Studentinnen wurde annulliert. Da die Kopftuchfrage in der Anklage gegen die Regierungspartei eine zentrale Rolle spielt, werten Beobachter das Urteil als Indiz dafür, dass die AKP verboten werden könnte. In Ankara wird bereits über die Gründung einer neuen Partei als Auffangbecken für die AKP-Mitglieder spekuliert.

Bei der Parlamentswahl im Juli vergangenen Jahres hatte die AKP fast 47 Prozent der Stimmen erhalten. In seinem Schlussplädoyer sagte Generalstaatsanwalt Yalcinkaya laut türkischen Medienberichten, die AKP wolle in der Türkei die islamische Rechtsordnung Scharia einführen und sei eine Gefahr für die laizistische Republik. Der Staatsanwalt fordert auch, dass sich 71 Mitglieder der AKP, darunter Erdogan, Staatspräsident Abdullah Gül und Parlamentspräsident Köksal Toptan, für fünf Jahre nicht mehr politisch betätigen dürfen.

Unterdessen wurden neue Einzelheiten über die Festnahme von mehr als 20 Erdogan-Gegnern in den vergangenen Tagen bekannt. Medienberichten zufolge stand ein Umsturzversuch gegen die Regierung unmittelbar bevor. Mehrere Zeitungen schrieben, bei der Festnahme von Regierungsgegnern seien Pläne für einen Umsturzversuch gefunden worden. Danach waren für morgen landesweite Demonstrationen gegen die Regierung vorgesehen, bei denen Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei provoziert werden sollten. Mit einer Serie von Attentaten und einer begleitenden Medienkampagne hätten die Beschuldigten einen Staatsstreich der Armee vorbereiten wollen.