Der Druck auf die Führung in Peking steigt: US-Außenministerin Rice fordert China zu Gesprächen mit dem Dalai Lama auf. Bundesregierung bleibt bei der Ein-China-Politik. China lehnt internationale Untersuchung durch Vereinte Nationen ab: “Tibet ist eine innere Angelegenheit.“

Dharamsala/Peking/Berlin. Bei den blutigen Protesten in Tibet sind nach Angaben des tibetischen Exilparlaments mehrere Hundert Menschen und damit weit mehr als bislang angenommen getötet worden. Seit Beginn der Unruhen am 10. März in der Hauptstadt Lhasa und anderen Regionen habe es Hunderte von Toten gegeben, erklärte das Exilparlament im indischen Dharamsala. Exil-Regierungschef Samdhong Rinponche sagte: "Es ist sehr schwer, präzise Zahlen zu erhalten." Er forderte die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen auf, Delegationen nach Tibet zu entsenden. Berater des geistlichen Oberhauptes der Tibeter, des Dalai Lama, sprachen von 80 Toten.

China wies Vorwürfe zurück, es habe die Proteste mit Gewalt niedergeschlagen. Der internationale Druck auf Peking stieg derweil: US-Außenministerin Condoleezza Rice forderte China zu Gesprächen mit dem Dalai Lama auf. Der von Peking eingesetzte Präsident der autonomen Region Tibet, Qiangba Puncog, betonte, die chinesischen Sicherheitskräfte seien nicht mit Waffengewalt gegen die Demonstranten vorgegangen. Dagegen hätten "tibetische Aufständische" mit "extrem brutalen Methoden 13 unschuldige Menschen" getötet. Die "Aufrührer" hätten nun bis Mitternacht Zeit, sich zu stellen.

Die Angaben stehen im Widerspruch zu Augenzeugenberichten über die gewaltsame Niederschlagung der Proteste. Inzwischen sind praktisch keine ausländischen Journalisten und Touristen mehr in Tibet, sodass eine Überprüfung der Zahlen unmöglich ist.

Gestern drangen kaum Informationen aus Lhasa, das von der chinesischen Armee abgeriegelt war. Ein Einwohner sagte der Nachrichtenagentur AFP am Telefon, die Lage sei weiterhin gespannt. "Panzer sind auf den Straßen." Laut einer Hotelangestellten durchkämmten Soldaten die Altstadt "Haus für Haus". In mehreren Regionen im Westen Chinas mit tibetischen Minderheiten versuchten die Sicherheitskräfte, anti-chinesische Proteste zu beenden. Nach Angaben von Aktivisten wurden mindestens acht Menschen in der Provinz Sichuan getötet, als die Polizei am Sonntag das Feuer auf Demonstranten eröffnete.

US-Außenministerin Rice sagte, Washington dränge die chinesische Führung schon seit Jahren zu einem Dialog. Der Dalai Lama sei eine "Autoritätsperson", deren moralisches Gewicht zu einer Lösung des Tibet-Problems beitragen könne. Die EU rief "alle Seiten zur Zurückhaltung" auf. Ein möglicher Boykott der Olympischen Spiele sei nicht "der angemessene Weg", sagte eine Kommissionssprecherin.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte einen Boykott abgelehnt. Für die Menschen in Tibet würde durch ein Fernbleiben von Olympia nichts erreicht, sagte Vizeregierungssprecher Thomas Steg. Ein Olympia-Boykott würde nur den Sportlern schaden, die sich auf die Spiele vorbereitet haben. Die Bundesregierung verstehe zwar den Anspruch der Tibeter auf kulturelle Autonomie. Es bleibe aber auch bei der Ein-China-Politik.

Ein Dialog mit den Spitzenfunktionären in China "ist meines Erachtens viel wirkungsvoller als öffentliche Aufrufe zu einem Boykott", sagte der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, Peter Danckert (SPD), im WDR. Die Grünen riefen allerdings zu Protesten an chinesischen Einrichtungen in Deutschland auf.

Unterdessen beriefen die Niederlande den chinesischen Botschafter ein, um ihm ihre "extreme Sorge angesichts der Ereignisse" mitzuteilen. Das russische Außenministerium erklärte dagegen, es handele sich um eine "interne Angelegenheit" der chinesischen Führung.

China lehnt eine internationale Untersuchung der Vorgänge in Tibet ab. Auf Forderungen nach der Entsendung eines Uno-Gesandten sagte der Sprecher des Außenministeriums, Liu Jianchao, die Entwicklung in Tibet sei eine "innere Angelegenheit".


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