HAMBURG - Dass die Arbeit der Vereinten Nationen nicht jedem das Herz wärmt, zeigte sich kurz nach Amtsantritt des vorigen amerikanischen Uno-Botschafters. John Bolton, ein berüchtigtes Raubein, knurrte, man könne getrost zehn der 38 Stockwerke des New Yorker Uno-Hauptgebäudes abtragen, ohne dass dies einen Unterschied mache. Und US-Präsident George W. Bush prophezeite bei Ausbruch des Irak-Krieges - den die Vereinten Nationen nicht erlaubt hatten -, nun werde die Uno in der Bedeutungslosigkeit versinken.

Jemand, der überzeugend das Gegenteil behauptet, ist Gunter Pleuger. Der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt war in der spannenden Zeit von 2002 bis 2006 Ständiger Vertreter Deutschlands am East River.

Am Dienstagabend sprach der hoch angesehene Diplomat, der als einer der profiliertesten gilt, die Deutschland je auf die große internationale Bühne geschickt hat, vor Mitgliedern und Gästen des Übersee-Clubs in der Handwerkskammer am Holstenwall über "Die Vereinten Nationen im 21. Jahrhundert".

Hochgewachsen, mit hoher Stirn und Schnauzer, steht Pleuger am Rednerpult, besitzt damit eine fast bismarcksche Präsenz und wirkt dabei ungestelzt sympathisch. Eloquent seziert er die brennenden Probleme der Weltorganisation und scheut sich nicht - hier ungewohnt undiplomatisch -, dem neuen Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon mangelnde Erfahrung und Unabhängigkeit und der neuen Präsidentin der Generalversammlung, Haya Rashed al-Khalifa, mangelnde Sachkenntnis anzulasten.

"Wo wären wir denn heute ohne die Uno?", fragt Pleuger mit Blick auf die vielen von der Weltgemeinschaft eingedämmten Krisen, "globale Probleme verlangen globale Lösungen - das begreifen inzwischen auch die USA." Doch sind die Entscheidungsstrukturen der Uno den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts noch angemessen? Der deutsche Diplomat sieht die Weltorganisation von einer dreifachen Krise bedroht.

"Wir haben eine Kapazitätskrise, eine Reformkrise und eine Legitimitätskrise", sagt Pleuger. Dann legt er zum Punkt eins dar, dass die Uno zum Beispiel über einen Etat für Friedenssicherungsoperationen von vier Milliarden Dollar pro Doppel-Jahr verfüge. Dass aber die weltweiten Operationen bereits mehr als zehn Milliarden Dollar kosten. "Die Uno ist nach den USA zurzeit der Welt zweitgrößter Truppensteller. Und wenn die USA mal ihre 160 000 Soldaten aus dem Irak abziehen, wird sie der größte Truppensteller sein."

Die Reformkrise der Uno kennt Gunter Pleuger nur zu gut - in seiner Ära scheiterten die vier Staaten Deutschland, Japan, Indien und Brasilien mit ihren Reformvorschlägen. "Ex-Generalsekretär Kofi Annan hat 101 Vorschläge gemacht. Fünf bis sechs davon sind umgesetzt worden." Zum Teil nicht mal erfolgreich.

Zur Legitimitätskrise betont Pleuger zunächst, dass der Uno-Sicherheitsrat mit seinen fünf Ständigen Mitgliedern (P5) ja die Machtverhältnisse nicht von heute, sondern von 1945 widerspiegelten. Außerdem: "Der Sicherheitsrat tagte früher alle drei Monate mal. Heute tagt er jeden Tag, und zwar zu 75 Prozent hinter verschlossenen Türen." Die Entscheidungen der Großmächte fallen dann innerhalb von zehn Minuten. "Damit wird die Generalversammlung ausgehebelt, die Staaten werden mit fertigen Beschlüssen einfach konfrontiert."

"Die P5 betrachten sich als gottgesandt, die Uno als ihr Eigentum und übernehmen einfach die Rechts-Setzung", sagt der promovierte Jurist. "Da fragen sich viele Staaten: Wie kommen die eigentlich dazu, für uns alle zu entscheiden?" In der Generalversammlung herrsche kein Vertrauen zum Sicherheitsrat. Pleuger plädiert dafür, dass dieser gegenüber dem Plenum verantwortlich gemacht werden soll. Letzten Endes sei er optimistisch, dass die Reform erfolgreich gelinge. Obwohl er einräumt: "In der Uno Entscheidungen herbeizuführen ist so, als müsse man mit einer Koalition aus 192 Parteien regieren."