Rehabilitiert: Reagan verdammte ihn als “tollwütigen Hund“, Bush nimmt wieder diplomatische Beziehungen zu ihm auf. Vor allem der Stopp des Atomprogramms brachte Libyens Staatschef Punkte. Beispiel für den Iran?

Hamburg. Die Deutschen hatten jenem schillernden Beduinen, den Ronald Reagan mal als "tollwütigen Hund" etikettiert hat, schon länger verziehen. War Muammar al-Gaddafi doch 1969 in einem türkisfarbenen VW-Käfer vor dem Königspalast in Tripolis vorgefahren, um den Monarchen Idris al-Senussi abzusetzen. Und hatte der libysche Oberst doch mehrere Millionen Öl-Dollar aufgewendet, um die niedersächsische Familie Wallert aus den Klauen philippinischer Terroristen zu befreien.

Nun also hat ihn die Regierung von George W. Bush mit dem politischen Ritterschlag geehrt: volle Aufnahme der 1980 jäh abgebrochenen diplomatischen Beziehungen, Streichung von der Liste der terrorunterstützenden Staaten, reiches Lob aus dem Mund von US-Außenministerin Condolleezza Rice, die bekanntlich auch ganz anders kann.

"Hervorragend" sei die Zusammenarbeit mit Libyen im Kampf gegen den internationalen Terror, schwärmte "Condi". Die Wiederaufnahme der Beziehungen stehe für "eine neue Ära des libysch-amerikanischen Verhältnisses". Und aus der Europäischen Union verlautete listig - wohl mit Blick auf die schwelende Iran-Krise -, da könne man mal sehen, daß auch eine "Lösung äußerst komplexer Streitigkeiten möglich sei".

Für diese "komplexen Streitigkeiten" hatte der langjährige Hang des libyschen Revolutionsführers gesorgt, antiwestliche Terrorbewegungen zu unterstützen. So soll sein Geheimdienst Drahtzieher des Anschlags auf den PanAm-Jumbo gewesen sein, der 1988 über dem schottischen Ort Lockerbie explodierte. 270 Menschen starben.

Auch der Bombenanschlag auf die vor allem von Amerikanern frequentierte Berliner Diskothek "La Belle" 1986 soll von Tripolis aus gelenkt worden sein. Zwei Amerikaner und eine Türkin starben dabei, 200 Menschen wurden verletzt. US-Präsident Reagan ließ zur Vergeltung Bomben auf Libyen regnen, dabei kam auch ein mit Gaddafi eng verwandtes Mädchen ums Leben.

Doch seit einigen Jahren bemüht sich Gaddafi, statt des Parias der arabische Darling der westlichen Welt zu werden. So entschädigte er die Lockerbie-Hinterbliebenen und lieferte die Täter aus. Der 180-Grad-Wechsel mag auch innenpolitische Gründe haben; der libyschen Wirtschaft taten die harten Sanktionen der USA und auch der Uno nicht eben wohl, die 1986 verhängt worden waren.

Vor allem aber dürfte dem umtriebigen Beduinen der Kragen eng geworden sein, als er sah, mit welchem Ernst die Amerikaner nach dem Schock des 11. September 2001 ihre Feinde ins Visier nahmen. Kurioserweise war Libyen noch vor den USA das erste Land gewesen, das bei Interpol einen Haftbefehl gegen den schattenhaften Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden stellte. Denn einer möglichen Revolution wahhabitischer Islamisten vom Schlage Bin Ladens wollte Gaddafi gern prophylaktisch das Haupt abschlagen.

Aber auch Frontenwechsel haben dem geschmeidigen Dauerrevolutionär noch nie größere Probleme bereitet. So hatte er nach der Machtergreifung noch mit Feuereifer die panarabische Einigung vorantreiben wollen - mit ihm als Vorreiter. Der charismatische Ägypter Gamal Abdel Nasser soll ihm kurz vor seinem Tod zugeflüstert haben: "Du bist mein Sohn und Erbe."

1973 schrieb Gaddafi das richtungweisende "Grüne Buch". Darin legte er kühn eine "Dritte Universaltheorie" neben Kommunismus und Kapitalismus nieder. Seine äußerst originelle Auffassung von der islamischen Rechtsprechung, der Scharia, bei der er muslimische Rechtsgelehrte kurzerhand für überflüssig erklärte, stieß in der außer-libyschen islamischen Welt auf wenig Gegenliebe. Pikiert knurrte Gaddafi: "Man komme mir nicht mit den Arabern! Sie haben keine Kraft, keinen Saft, keine Tiefe."

Ausländischen Gästen wartet der selbsternannte Oberst in einem Beduinenzelt auf, Kamelmilch trinkend, in Operettenuniformen oder signalfarbene Gewänder gehüllt. Seine divenhafte Unberechenbarkeit und seine Neigung zu nicht enden wollenden philosophischen Vorträgen haben zeitweise im Westen zu Unrecht Zweifel an seiner geistigen Frische geweckt, seine nur aus Frauen bestehende Leibgarde machte ihn zum Gespött. Doch Gaddafi, den am längsten regierenden Staatschef der Welt, darf man keinesfalls unterschätzen.

So elegant, wie er die Wende vom glühenden Antikapitalisten aus ärmlichen Verhältnissen zum Förderer der Groß-Wirtschaft schaffte, so inbrünstig, wie der Tyrann plötzlich das Banner der Menschenrechte schwingt und die gefürchteten Volksgerichte auflöste, könnte er auch die politische Volte bewerkstelligen, die ihn nun in den Kreis der aufrechten Staatsführer tragen soll. Denkt man wieder an den Iran, so wird es Gaddafi in Washington viele Punkte eingebracht haben, daß er 2003 sein erstaunlich weit gediehenes Atomprogramm enthüllte und auch gleich abbaute.

Als seinen designierten Nachfolger baut Gaddafi seinen zweiten Sohn Saif al-Islam (Das Schwert des Islam) auf, der unter anderem Deutsch spricht und dem man eine Affäre mit der israelischen (!) Aktrice Orly Weinerman nachsagt. Der erfolgreiche Hobby-Maler mit Ausstellungen weltweit - auch in Berlin (Lieblings-Sujet: die Wüste) - ist diplomierter Architekt. Gaddafi nutzt seinen weltläufigen Sohn, um seine Offensive des Charmes voranzutreiben. So war Saif al-Islam der Vermittler im Fall Wallert. Wie eine Spinne sitzt der Gaddafi-Sohn im Netz der umworbenen libyschen Wirtschaft.

Doch nicht jeder sieht den Generalpardon für Muammar al-Gaddafi mit Wohlwollen. Susan Cohen, deren Tochter 1988 in Lockerbie ums Leben kam, sagte traurig: "Nun werden Terroristen doch noch belohnt. Ich glaube, es dreht sich alles nur ums Öl."