Think Tanks: Intellektuelle Runden für Politikberatung

Hamburg. Unser Globus wird geographisch immer zugänglicher, verstandesmäßig immer komplizierter. Der Satz "Ich versteh' die Welt nicht mehr" hat an realer Bedeutung gewonnen. In sogenannten Think Tanks ersinnen Menschen die Welt von heute, morgen und übermorgen, damit wir sie besser verstehen können. Das Abendblatt hat drei dieser Denkfabriken besucht, die unterschiedliche intellektuelle Ansätze pflegen. Gemeinsam ist ihnen die Bereitschaft zur demokratischen Aufklärung und zum kritischen Dialog.

Zwei große Hamburger Persönlichkeiten, Marion Gräfin Dönhoff und Eric M. Warburg - gezeichnet von den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs -, gründeten 1952 die "Atlantik-Brücke". Dönhoff, die aus Ostpreußen stammende Journalistin und spätere Herausgeberin der "Zeit", kam aus dem deutschen Widerstand. Warburg, Sproß einer jüdischen Bankiers-Familie, mußte aus Deutschland emigrieren, kehrte 1945 nach Deutschland zurück und arbeitete als Dolmetscher in Kriegsverbrecher-Prozessen, bevor er die Geschäfte der Hamburger Privatbank wiederaufnahm.

Eine Brücke über den Atlantik für Deutsche und Amerikaner

Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges wollte man die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA fördern. "Daß es sich hierbei um eine elitäre Vereinigung handelt, war und ist durchaus beabsichtigt." Dr. Beate Lindemann, Geschäftsführende Stellvertretende Vorsitzende der mittlerweile über 500 Vertreter aus Medien, Politik und Wirtschaft zählenden Vereinigung mit Sitz in Berlin, unterstreicht: "Die Atlantik-Brücke begreift sich als diplomatischen Think Tank." Persönlichkeiten wie etwa Modemacher Willy Bogner, Ernst Cramer (Axel-Springer-Stiftung), Ex-Außenminister Joschka Fischer, Dirigent Kurt Masur, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Unternehmer Dr. Michael Otto oder Moderator Ulrich Wickert suchen das transatlantische Gespräch.

In selbstfinanzierten internationalen Konferenzen, Podiumsdiskussionen und Seminaren wird der verbindende Gedanke befördert. Dazu paßt der neue Vorsitzende, Dr. Thomas Enders. Er ist CEO der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS).

In der Tradition eines interdisziplinär geprägten Denkens begreift sich das Einstein-Forum in Potsdam - "wir wirken an der Schnittstelle zwischen östlichem und westlichem Europa", sagt Professor Susan Neiman, Leiterin des 1993 gegründeten Institutes. Hier begegnen sich Künstler, Politiker, Wissenschaftler aus der ganzen Welt - und treffen dabei auf Bürger. Jeder Interessierte hat Zutritt zum Forum. "Wir sehen uns in der Tradition des Albert Einstein mit der ausgestreckten Zunge, bei uns hat jeder Zutritt", betont Philosophin Neiman.

Wie Albert Einstein (1879-1955) begreift man sich an diesem Ort von Dichtern und Denkern als ein demokratisches Bollwerk. Ein Thema wie "Wer hat das Sagen? Zur Rolle des Intellektuellen im öffentlichen Diskurs" ist charakteristisch für das Forum. Und Gäste wie etwa der einstige Chef der Uno-Rüstungskontrollkommission, Hans Blix, Lyriker Durs Grünbein oder Physiker Stephen Hawking sind es auch.

"Experimentelles Denken und provokante Denkweisen" haben im Einstein-Forum einen Stammplatz, weil der Namensgeber mit herkömmlichen wissenschaftlichen Abgrenzungen unkonventionell brach. Auf eines legt Professor Neiman großen Wert: Für sie ist "das starke Europa wichtig für die Welt, weil es die Aufklärung am ehesten verkörpert".

Der Umbruch der Welt wird in Hamburg analysiert

Als eine "antizipierende, also vorausschauende Einrichtung" sieht sich das seit 1964 in Hamburg ansässige Deutsche Übersee-Institut (DÜI). Von dem verstaubt klingenden Namen sollte man sich nicht täuschen lassen. "Wir erforschen globale Trends des politischen, ökonomischen oder sozio-kulturellen Wandels", beschreibt der Vorstandsvorsitzende, Professor Dr. Robert Kappel, die Aufgaben dieser Stiftung. Sie vereint vier wissenschaftliche Einheiten unter einem Dach - nämlich die Institute für Afrika - und Asien- sowie jenes für Iberoamerika-Kunde. Und das Deutsche Orient-Institut, an dessen Spitze der international renommierte Professor Udo Steinbach steht. Ihnen allen ist ein Forschungsauftrag gemeinsam: "Die Welt ist im Umbruch. Wir meinen alles zu wissen, aber wir müssen immer spezifischer forschen, um alles zu wissen." Pulverfässer wie der Nahe Osten gehören ebenso zum wissenschaftlichen Portfolio wie die angehende, im Westen unterschätzte Supermacht Indien oder der Nationen-Zerfall in Afrika. Wie geht man etwa auf dem internationalen Parkett mit Staaten um, deren Staatsgeschäfte schon längst nicht mehr von demokratisch gewählten Volksvertretern erledigt werden - sondern von rivalisierenden Stammes-Banden?

So ist denn eine der Aufgaben des DÜI perspektivische PolitikBeratung, etwa für das deutsche Außenministerium.

Internationale Netzwerke der Denkfabriken

Und auch beim DÜI sucht man zunehmend die Kooperation mit ähnlichen europäischen und überseeischen Forschungsstätten. Im Zeitalter der Globalisierung ist eine Allwissenheits-Attitüde nämlich endgültig überholt. "Wenn wir eines der führenden Institute seiner Art in Europa bleiben wollen", so Kappel, "müssen wir internationale, wissenschaftliche Netzwerke flechten." Denn Denkfabriken können sich mithin nicht mehr im Elfenbeinturm einigeln.