Hamburg

Die tunesische Dissidentin und Herausgeberin der in Tunesien verbotenen Online-Zeitung "Kalima" (arabisch: Stimme), Sihem Bensedrine, hat ihr Buch "Despoten vor Europas Haustüre" vorgestellt. Bis Anfang nächsten Jahres hat die Schriftstellerin und Regimekritikerin, die in ihrer Heimat verfolgt wird, bei der Stiftung für politisch Verfolgte in Hamburg Obdach. Dann kehrt sie zurück in eine ungewisse Zukunft.

"Tunesien ist eines der größten Gefängnisse dieser Welt", erklärt Sihem Bensedrine. Das Land hält die Einwohner durch Unterdrückung, Folter und die vehemente Einschränkung ihrer Bürgerrechte in Knechtschaft, seitdem Staatspräsident Zine al-Abidine Ben Ali 1987 die Macht an sich gerissen hat. Seit über 15 Jahren könnten weder Bensedrine noch ihr Mann Omar Mestiri oder eines ihrer drei Kinder in Tunis auf die Straße gehen, ohne daß sie von Polizisten verfolgt würden, so Bensedrine.

Die Grundlage für die undemokratische Entwicklung Tunesiens erörtert sie in ihrem neuen Buch. Darin zeichnet sie zusammen mit ihrem Ehemann Mestiri nach ausgiebigen Recherchen in der Pariser Nationalbibliothek, dem Deutschen Orientinstitut in Hamburg und auf Grund zahlreicher Zeugenberichte von Dissidenten das Bild der Realpolitik in den Maghreb-Staaten nach.

Ihre Bilanz seit der Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages in Barcelona 1995 ist nüchtern. Weder Libyen, noch Marokko, Algerien oder Tunesien sind der Demokratie auch nur einen Schritt nähergerückt. Sinn des EU-Abkommens mit den Mittelmeeranrainern war ursprünglich die Schaffung einer Friedens- und Stabilitätsordnung nach dem Vorbild der Charta der Vereinten Nationen, um "das gegenseitige Verständnis der Kulturen und den Austausch zwischen den Zivilgesellschaften zu fördern".

Doch genau das Gegenteil ist eingetroffen. Vor allem nach den Anschlägen in Casablanca im Mai 2003 wurde nicht nur eine verschärfte Sicherheitspolitik in den Maghreb-Staaten eingeleitet, die dazu führte, daß auch Vertreter von Menschenrechtsorganisationen wie gemäßigte religiöse Vertreter starken politischen Repressalien ausgesetzt wurden. Die Politik der "Sicherheit wurde sogar über alles" gesetzt, kritisieren die Autoren, so daß am Ende innenpolitische Reformen in Richtung Demokratisierung völlig unnötig wurden. Die Sicherheitsdoktrin der Maghreb-Staaten ist nach Ansicht Sihem Bensedrines der Hauptvorwand der autokratischen Machthaber, um gegen Vertreter der Zivilgesellschaft vorzugehen und Grundfreiheiten der Bürger noch weiter einzuschränken.

Dabei haben es die autokratischen Machthaber geschafft, der EU die Fassade einer Demokratie vorzuspiegeln und wortreich über Liberalisierungsprozesse der Wirtschaft zu berichten. Doch gerade das Tunesien unter Ben Ali gilt als bestes Beispiel dafür, daß nie eine liberale Wirtschaftsordnung geschaffen wurde. Statt dessen beherrschen korrupte Familienclans die Wirtschaft. Das führt auch zu Migrationsströmen, da junge Tunesier kaum Hoffnung haben, in der Heimat ihren Lebensunterhalt zu verdienen.