Die Nato droht am Hindukusch zu verlieren. Es geht Washington nicht mehr um Demokratisierung, sondern um die politische Stabilisierung Afghanistans. Der radikale Islam hat längst gewonnen.

Hamburg/London/Washington. Verhandeln mit den Taliban - der Plan des amerikanischen Präsidenten Barack Obama zur Befriedung Afghanistans wird von Experten leidenschaftlich diskutiert. Im Oktober 2001 hatten die USA ihren Feldzug gegen die radikalislamischen Paschtunen-Milizen begonnen, die das Land weitgehend beherrschten. Es galt als erwiesen, dass die Taliban Komplizen des Terrornetzes al-Qaida waren, das hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 steckte. Binnen weniger Monate wurden sie von der Macht vertrieben - doch seit Anfang 2006 ist ihre militärische und terroristische Schlagkraft stetig gewachsen.

Barack Obama musste einräumen, dass Amerika "nicht gewinne" in Afghanistan. Und das renommierte Internationale Institut für Strategische Studien IISS in London warnte, die Nato - immerhin das stärkste Militärbündnis der Geschichte - drohe den Krieg gegen die Taliban zu verlieren. Obama sucht dringend nach einer gesichtswahrenden "Exit-Strategie". Seine Überlegung, mit gemäßigten Elementen der Taliban verhandeln zu wollen, ist zunächst einmal der Offenbarungseid für jenen ehrgeizigen Plan seines Vorgängers George W. Bush, Afghanistan eine pluralistische, demokratische Staatsform zu verpassen.

Die neue Strategie - die noch nicht offiziell verkündet werden konnte, weil sich Obamas Berater noch keineswegs darüber einig sind - ist das Eingeständnis, dass der Hindukusch auch in Zukunft von radikalislamischen Kräften beherrscht werden wird. Sie zielt auf die ideologische Vielfalt der Taliban ab, denn d i e Taliban gibt es nicht. Es gibt militant antiwestliche Hardliner wie jene um Taliban-Chef Mullah Mohammed Omar. Jeder Versuch des Westen, mit diesen Kräften zu verhandeln, wäre völlig sinnlos. Sie fordern einen radikalen Gottesstaat mit erbarmungsloser Intoleranz selbst anderen islamischen Denkschulen gegenüber. Ihnen geistesverwandt sind Osama Bin Laden und seine Terrorbrüder. Dann gibt es die Verbündeten Mullah Omars. Auch die Hezb-i-Islami unter dem brutalen Warlord und früheren Ministerpräsidenten Gulbuddin Hekmatyar will einen Gottesstaat. Doch hat Hekmatyar, der früher unverschleierten Frauen Säure ins Gesicht geschüttet haben soll, schon einmal mit den USA kooperiert, bevor er sich den Taliban anschloss.

Der mächtige Warlord Jalaluddin Haqqani, der mit seiner Miliz aus der pakistanisch-afghanischen Grenzregion Waziristan heraus operiert, hat ebenfalls Erfahrungen mit den USA: Die CIA stattete ihn und seinen damaligen Mitstreiter Osama Bin Laden mit Geld und Waffen für den Kampf gegen die Sowjetunion aus. Ob Hekmatyar und Haqqani aus der Front mit Mullah Omar herausgebrochen werden können, ist unklar. Allerdings sind die Taliban keineswegs ein monolithischer Block und untereinander durchaus nicht einig - sodass hier der Ansatz für einen Spaltkeil wäre. Wie der "Observer" schrieb, habe es vor rund zwei Wochen in Dubai ein erstes Treffen zwischen der amerikanisch gestützten Regierung von Präsident Hamid Karsai und Abgesandten von Gulbuddin Hekmatyar gegeben.

Leichter für den Westen zu gewinnen wären jene Afghaner, die mangels Alternativen oder einfach aus Furcht die Reihen der Taliban aufgefüllt haben. Hier setzt der zweite Ansatz Obamas an, der dem deutschen Konzept im Norden Afghanistans nahe kommt: militärische Absicherung eines zivilen und wirtschaftlichen Aufbaus, um den Menschen eine Lebensgrundlage zu geben.

Unter "Gewinnen" versteht die Nato inzwischen die Etablierung einer stabilen Regierung. Dann kann die Nato das Land verlassen. Obamas Plan einer möglichen Regierungsbeteiligung gemäßigter Taliban soll letztlich diesen Abzug ermöglichen. Denn neben der steigenden Zahl an Todesopfern und den enormen Kosten des Afghanistan-Einsatzes werden die beteiligten Nato-Staaten zudem durch die öffentliche Meinung ihrer Bevölkerungen unter Druck gesetzt, die einen Abzug fordern. Auch viele Amerikaner sind kriegsmüde; nach einer Gallup-Umfrage lehnen bereits 42 Prozent den Afghanistan-Einsatz ab.

Doch Verhandlungen mit den Taliban sind auch für viele Afghaner ein Problem. Die Parlamentsabgeordnete Sediqa Mobariz aus Bamiyan, eine Angehörige des Hazara-Volkes, sagte sehr deutlich: "Als afghanische Frau glaube ich nicht, dass man mit den Taliban verhandeln kann. Sie können die Vergangenheit nicht vergessen. Und wir auch nicht."