Der Staatspräsident des Landes bittet um Hilfe. Senegals Staatschef will vermitteln, aber mindestens 15 Staaten Afrikas sind selber in Kriege und Krisen verstrickt.

Hamburg/Antananarivo. Madagaskar, dem zweitgrößten Inselstaat der Welt nach Indonesien, droht ein Bürgerkrieg. Am Freitag fuhren Panzer in der Hauptstadt Antananarivo auf;der amerikanische Botschafter Niels Marquardt forderte die US-Bürger des Landes auf, sich in Sicherheit zu bringen. Die deutsche Botschaft riet Bundesbürgern in Madagaskar, ihre Wohnungen nicht mehr zu verlassen und gab eine Reisewarnung heraus.

Welche Truppenteile des Militärs dem umstrittenen Präsidenten Marc Ravalomanana oder Oppositionsführer Andy Rajoelina (34), der sich ebenfalls zum Staatschef ausgerufen hat, die Treue hielten, war unklar. Der Präsident rief seine Anhänger am Freitag auf, ihn in seinem Amtssitz zu beschützen. Der Sprecher der meuternden Truppen, Oberst Noel Rakotonandrasa, erklärte: "Wir haben die Unterstützung des Volkes." Rajoelina-Anhänger besetzten Regierungsgebäude.

Und wieder ist es die sirenenhafte Verlockung mit Macht und Geld, die ein Land ins Chaos reißt. Ravalomanana war der Liebling des Westens, als er 2001 den seit 20 Jahren herrschenden marxistischen Diktator Didier Ratsiraka in Wahlen besiegte. Ratsiraka hatte zunächst mit allen Mitteln versucht, sich an der Macht zu halten, die Brücken in Antananarivo vermint und die Bevölkerung ausgehungert. Erst als sich die Armee hinter Ravalomanana stellte, war der Spuk vorbei. Ratsiraka floh ins Exil nach Frankreich.

Der neue Präsident, der einst als bitterarmer Junge Joghurt vom Fahrrad aus verkauft hatte, wird der hemmungslosen Bereicherung beschuldigt. Dem 59-Jährigen gehört heute der Mischkonzern Tiko mit Einkaufszentren, Molkereien, Radio- und Fernsehsendern, einer Straßenbaufirma und einer Druckerei. Während Ravalomanana zum Multimillionär aufstieg, verarmte sein Volk immer weiter. Und der Staatschef gebärdete sich immer autoritärer: Als der regimekritische Privatsender Viva es wagte, ein Interview mit Ratsiraka zu senden, ließ Ravalomanana ihn kurzerhand schließen. Die Wut im Volk explodierte, als bekannt wurde, dass die Regierung eine Fläche von der halben Größe Belgiens an den koreanischen Konzern Daewoo verpachtet hatte, auf der die Koreaner Futtermais für Schweine und Ölpalmen für die Biodieselproduktion anbauen wollen. "Wir brauchen das Land für unser eigenes Essen", hieß es. Zwar sollen viele Arbeitsplätze entstehen - allerdings auch für Gastarbeiter aus Südafrika. Kurz nach dem Deal leistete sich Präsident Ravalomanana eine Boeing 737 für rund 60 Millionen Dollar.

Massenproteste von 80 000 aufgebrachten Madagassen in der Hauptstadt Anfang Februar ließ der Staatschef zusammenschießen; bis zu 70 Menschen starben. Verteidigungsministerin Cecile Manorohanta trat entsetzt zurück. Seit Ausbruch des Machtkampfes gab es 140 Tote.

Geologisch löste sich die Insel Madagaskar vor 150 Millionen Jahren vom afrikanischen Kontinent. Ethnisch ist der Inselstaat von der Größe Frankreichs dem Schwarzen Kontinent noch eng verbunden: 44 Prozent der gut 20 Millionen Madagassen sind afrikanischer Herkunft, der Rest weitgehend malaiischer. Und es war der Präsident des Senegal, Abdoulaye Wade, der die Kontrahenten Ravalomanana und Rajoelina zu Schlichtungsgesprächen nach Dakar einlud.

Dabei gilt gerade Afrika selber aufgrund seiner vielen kriegerischen Konflikte und Krisen als "verlorener Kontinent". Der angesehene "Economist" handelte sich im März 2000 viel Kritik ein, als er Afrika auf seinem Titelblatt gar als "hoffnungslosen Kontinent" bezeichnete. Dies ist gewiss ein ungerechtfertigtes Urteil, doch auf dem Fund-for-Peace-Index 2008 der gescheiterten oder vom Scheitern unmittelbar bedrohten Staaten der Erde finden sich unter den ersten 20 gleich elf afrikanische Länder, an der Spitze Somalia, der Sudan, Simbabwe und der Tschad. Nicht weit dahinter liegen die Demokratische Republik Kongo, die Elfenbeinküste und die Zentralafrikanische Republik.

In Äthiopien kontrollieren radikalislamische Kräfte beinahe das ganze Land, sogar im Touristenparadies Kenia eskalierte kürzlich die Gewalt; in Südafrika explodiert zudem die Kriminalität.

Mindestens 15 afrikanische Staaten leiden unter Kriegen und Krisen, die teilweise bereits seit Jahrzehnten schwelen. Die Ursachen sind komplex; doch Kämpfe um Rohstoffe wie Öl und Diamanten, Rivalitäten zwischen Stämmen, Ethnien und Religionen, Machtgier von Despoten und nicht zuletzt die notorische Ausbeutung seitens der Industriestaaten zählen vor allem dazu. Doch vor dem Brandzeichen "hoffnungslos" sollte man sich hüten. So hat der Internationale Währungsfonds Afrika ein Wirtschaftswachstum von mindestens fünf Prozent vorausgesagt.