Hat in Israel ein Rechtsruck stattgefunden, der einen Frieden mit den Palästinensern unmöglich macht? Wird die neue israelische Regierung einen...

Hat in Israel ein Rechtsruck stattgefunden, der einen Frieden mit den Palästinensern unmöglich macht? Wird die neue israelische Regierung einen Konfrontationskurs steuern, der die Situation in Nahost eskalieren lassen wird? Diesen Eindruck gewinnt man durch die Berichterstattung vieler Medien in Folge der israelischen Wahlen vor einem Monat. Dabei findet die entscheidende Bedrohung Israels durch einen nuklear aufrüstenden Iran kaum Erwähnung.

Derweil beschäftigt sich das Ausland mit der vermeintlichen Radikalisierung Israels. So veröffentlichten "Freunde der israelischen Demokratie" aus den USA jüngst in mehreren israelischen Zeitungen einen dringlichen Appell: "Wir fordern Benjamin Netanjahu und Zipi Livni auf, sich von einer Koalition mit Israel Beitenu fernzuhalten oder deren Führer (!) Lieberman einen Ministersessel anzubieten. Durch sein Parteiprogramm und seine Rhetorik gefährdet Lieberman die israelische Gesellschaft mit den Abgründen von Rassenhetze, Demagogie und Ultranationalismus ... Lieberman als Minister würde in den Augen der Welt Israel als demokratischen Staat delegitimieren. Selbst für die Freunde Israels wäre es schwierig, wenn nicht unmöglich, sich mit dem Land zu identifizieren oder es zu unterstützen."

Gemach. Tatsächlich fand in Zion keineswegs eine rechte Kehrtwende statt. Es handelt sich vielmehr um eine beschleunigte Erosion der Sozialdemokratie, die wir aus Deutschland kennen. Hierzulande liegt die SPD gegenwärtig bei knapp über 20 Prozent. Ihre israelischen Genossen unter dem Vorsitz von Verteidigungsminister Ehud Barak sanken zuletzt sogar auf die Hälfte.

Das ist besonders erschütternd für die Partei, deren Vorsitzender David Ben Gurion vor sechzig Jahren den jüdischen Staat gründete und 14 Jahre dessen Ministerpräsident blieb. Bis in die 70er-Jahre gewann die Arbeitspartei stets mehr als ein Drittel der 120 Knesset-Mandate. Nach Ben Gurions Amtsverzicht 1963 folgten ihm unter anderem die Sozialdemokraten Golda Meir (1969-74) und Jitzchak Rabin (1974-77 und 1992-95) im Amt.

Doch Israels Sozialdemokraten regierten zu erfolgreich. Ihre Klientel etablierte sich wirtschaftlich und gesellschaftlich. Ein Beispiel liefert Staatspräsident Schimon Peres. Zunächst war er Mitglied in einem Kibbuz, später wurde er engster Mitarbeiter Ben Gurions im Verteidigungsministerium - in dieser Funktion handelte er geheime Waffendeals mit seinem deutschen Partner Franz Josef Strauß aus. Er leitete mehrere Ministerien und amtierte zwischen 1984 und 2002 wiederholt als Ministerpräsident.

Doch die gesellschaftliche Lage im jüdischen Staat hatte sich unweigerlich gedreht.

Bereits 1977 wählten die sozial schwachen Zuwanderer aus den arabischen Staaten den konservativ-liberalen Likud-Block zur stärksten Partei. Dessen Vorsitzender Menachem Begin wurde Ministerpräsident. Zwei Jahre später, im Abkommen von Camp David, gelang Begin ein Friedensvertrag mit Ägypten. Im Gegenzug räumte Jerusalem den Sinai, die Siedlungen dort wurden aufgegeben.

So gelang es, eine Bresche in die feindliche Phalanx der arabischen Staaten zu schlagen.

Schimon Peres blieb Vorsitzender der Arbeitspartei, bis er vor vier Jahren die Offerte des damaligen Likud-Ministerpräsidenten Ariel Scharon annahm, ihm in dessen neue Partei zu folgen. Scharon trennte sich vom Likud und gründete die Kadima-Partei, um den Konflikt mit den Palästinensern zu entschärfen. Der erste Schritt war die einseitige Räumung des Gazastreifens, einschließlich der Aufgabe der jüdischen Siedlungen.

Wie Peres wechselten viele Abgeordnete und ein Großteil der Wähler der ehemaligen Arbeitspartei zur Kadima. Die Kadima ist heute unter Führung von Zipi Livni mit 28 Abgeordneten die größte Partei Israels. Dagegen ist die von Ehud Barak geführte Arbeitspartei mit gerade 13 Sitzen nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Benjamin Netanjahu hat aus dem Auseinanderbrechen des Likud vor vier Jahren gelernt. Damals hatte Netanjahu davor gewarnt, den Gazastreifen bedingungslos, ohne ein Abkommen mit den Palästinensern, zu räumen. Dies würde unweigerlich zu einer Machtübernahme der islamistischen Hamas und einem Terrorkrieg gegen Israel führen, erklärte der Likud-Chef. Die Befürchtung ist eingetroffen. Dennoch errang seine Partei ein Mandat weniger als die Kadima. Viele Israelis glaubten an Frieden durch eine Zwei-Staaten-Lösung.

Der wichtigste potenzielle Verbündete des Likud ist Israel Beitenu (Unser Haus Israel). Zwei Drittel ihrer Wähler sind russische Zuwanderer. Der Wahlschlager von Parteichef Lieberman ist die Zivilehe. Dadurch würde den "Russen" der ständige Ärger mit den Religionsbehörden über die Anerkennung ihres Judentums erspart.

Der zweite Propagandapunkt Liebermans ist bedenklich. Er fordert, die Staatsbürgerschaft mit einer Loyalität gegenüber dem jüdischen Staat zu koppeln. Das bringt vor allem die Araber, ein Fünftel der Bevölkerung, und das Friedenslager gegen Israel Beitenu auf. Lässt man das Wahlkampfgetöse beiseite, ist Lieberman ein Pragmatiker. Als Minister in mehreren Kabinetten bewies er, dass ihn sein Gerede von gestern wenig interessiert. Ihm geht es um Macht für sich selbst und Verbesserungen für seine Wähler.

Netanjahu, Lieberman, selbst Barak fordern eine All-Parteien-Regierung. So lasse sich am besten der Bedrohung durch einen nuklear aufrüstenden Iran begegnen. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Iran in den Besitz von Atomwaffen kommt!", betont Netanjahu. Die überwältigende Mehrheit der Israelis stimmt in diesem Punkt mit dem Likud-Chef überein.

Bislang hat sich Zipi Livni der Aufforderung Netanjahus, sich seiner Regierung anzuschließen, wobei sie das Außenministerium beibehielte, verschlossen. Livni besteht darauf, dass das Amt des Premierministers zwischen ihr und Netanjahu rotiert. Darauf will sich der Likud-Chef, der eine Mehrheit im rechten Lager hält, nicht einlassen. Damit kommen die religiösen Parteien ins Spiel. Den drei Gruppierungen - von zwölf Parteien im Parlament - geht es primär darum, möglichst viele religiöse Vorschriften im Alltag zu etablieren und Religionsschulen sowie Jeschiwot (Talmud-Akademien) bezuschussen zu lassen.

Die zukünftige israelische Regierung wird in den kommenden Wochen unter Führung Benjamin Netanjahus die Geschäfte übernehmen. Zipi Livnis Kadima wird vorläufig in die Opposition wandern. Einen Rechtsruck Israels wird es dennoch nicht geben. In Geheimgesprächen mit Damaskus hat Netanjahu längst die Räumung der annektierten Golanhöhen an Syrien zugestanden. Auf diese Weise soll Damaskus aus der Verbindung mit Iran herausgebrochen werden. Netanjahu möchte die wirtschaftliche Lage der Palästinenser verbessern und mit ihnen zu einer tragfähigen Übereinkunft gelangen. Selbst ein eigenständiger palästinensischer Staat scheint nicht ausgeschlossen - allerdings ohne Beteiligung der radikal-islamischen Hamas.

Der Preis für eine Kompromissfähigkeit Jerusalems gegenüber den Palästinensern und Syrern ist die Bannung der nuklearen Bedrohung durch Iran. Netanjahus Regierung setzt dabei vor allem auf den Einfluss der Vereinigten Staaten. Jerusalem vertraut Washington, so machte Netanjahu gegenüber US-Außenministerin Clinton soeben deutlich, dass es Teheran an der Fertigstellung von Kernwaffen hindert. Gelingt Washington das nicht, dann ist Israel entschlossen, dies aus eigener Kraft zu unterbinden. Diese Haltung beschränkt sich nicht auf den Likud. Sie wird quer durch das israelische Parteienspektrum vertreten. Washington, Europa und Russland sind gut beraten, diese israelische Entschlossenheit ernst zu nehmen.