Fast sechseinhalb Jahre lang war Ingrid Betancourt (47) Gefangene der kolumbianischen FARC-Rebellen, bis sie und 14 weitere Geiseln am 2. Juli durch ein Täuschungsmanöver der Streitkräfte befreit wurde.

Seither feiern Medien die Grünen-Politikerin und frühere Präsidentschaftskandidatin als Heldin. Jetzt greifen ehemalige Mitgefangene sie scharf an. In ihrem Buch "Out of Captivity" (aus der Geiselhaft befreit), das vom Verlag Harper Collins am Donnerstag in New York vorgestellt wurde, bezeichnen die Amerikaner Keith Stansell (44) und Thomas Howes (55) sie als selbstsüchtig und arrogant. Nur der dritte Co-Autor Marc Gonsalves (36), der sich mit Betancourt in der Gefangenschaft etwas angefreundet hatte, findet verständnisvolle Worte für sie.

Die härtesten Vorwürfe erhebt Ex-Marine Stansell, der 2003 von der FARC gekidnappt worden war. Betancourt habe den Mitgefangenen Essen gestohlen, Kleidung und Schreibmaterial von ihnen gehortet, die genehmigten Badezeiten bestimmt. "Nach meiner Beobachtung versuchte sie das Camp zu übernehmen mit einer Arroganz, die außer Kontrolle war", schreibt Stansell. "Einige von den Wachen behandelten uns besser als sie."

Informationen, die sie aus einem versteckten Transistorradio aus der Außenwelt bekam, habe sie nicht an die anderen weitergegeben. Stansell behauptet, sie habe die Amerikaner der FARC gegenüber sogar als CIA-Agenten angeschwärzt und damit deren Leben gefährdet. Er beschreibt sie als "Prinzessin", die "glaubt, dass die FARC dieses Schloss für sie ganz allein baute. Wie arrogant ist das?"

Auch Co-Autor Thomas Howes erhebt ähnliche Vorwürfe. Betancourt sei "ein Mensch, der gerne manipuliert und kontrolliert, für den die Geiselhaft sehr schwer war", sagte er nach einem Bericht der "New York Times". Nur der dritte Autor, Gonsales, beschreibt Betancourt als warmherzige, sehr tapfere Frau, die mit ihren Nerven am Ende war. Obwohl sie häufig den ganzen Tag gefesselt war, um eine Flucht bei den häufigen Gewaltmärschen zu vermeiden, habe er jedoch nie eine Klage von ihr gehört. Die Spannungen mit den anderen Amerikaner erklärt er zum Teil auch mit Eifersucht und Machtkämpfen unter den Geiseln.

Nach der Freilassung waren immer wieder ähnliche Zerwürfnisse bekannt geworden. Der frühere Mitgefangene Luis Eladio Perez, ein kolumbianischer Anwalt, schrieb jedoch in seinem eigenen Buch über die Jahre: "Ingrid ist ein Mensch, der eine Menge Neid erregt. Nicht einmal die Geiselhaft hat das Karma beseitigen können." Neunzig Prozent aller Medienberichte über die Geiseln handelten von ihr, "als ob der Rest von uns nicht existierte". Betancourt, die heute bei ihrer Familie in Frankreich lebt, hatte in einem 2007 entdeckten Brief an ihre Mutter einen erschütternden Bericht über die Haftbedingungen gegeben. "Ich bin müde, des Leidens müde", schrieb sie. "Diese sechs Jahre haben mir gezeigt, dass ich weder so widerstandsfähig noch so mutig, intelligent und stark bin, wie ich dachte. Ich habe viele Schlachten geschlagen, versuchte mehrmals zu fliehen, habe mich bemüht, Hoffnung zu bewahren. Aber heute, Mamita, fühle ich mich geschlagen." Nur durch das Transistorradio konnte sie von Botschaften ihrer Familie erfahren.

Betancourt äußerte sich zu den erhobenen Vorwürfen nicht. Ihre Sprecherin sagte, sie arbeite an einem eigenen Buch und werde keinen Kommentar geben.