Die lange Trennung der Soldaten auf Auslandseinsätzen von den Familien führt zu Einsamkeit und Depressionen.

Hamburg/Washington. "Es ist erschreckend", stöhnte ein Offizieller der US-Armee, "und wir wissen nicht einmal, was da los ist." Eine Woche nachdem die amerikanische Armee die Selbstmordzahlen für das vergangene Jahr veröffentlicht und eingeräumt hatte, dass sich 2008 insgesamt 128 Soldaten das Leben genommen haben und weitere 15 Todesfälle auf Selbstmord hindeuten - was einen Negativrekord darstellt -, sorgte nun eine neue Zahl für blankes Entsetzen in Washington.

Den jüngsten Erhebungen nach haben sich allein im Januar 24 US-Soldaten das Leben genommen - sechs mal so viele wie im Januar 2008. Damit wären im Januar zum ersten Mal mehr amerikanische Soldaten durch eigene Hand gestorben als durch Feindeinwirkung im Irak und in Afghanistan, wo es insgesamt 16 Todesopfer gab.

Oberst Cathy Platoni, die klinische Chefpsychologin für die Armee-Reserve und die Nationalgarde, sagte dem US-Sender CNN, die langen kalten Wintermonate könnten zu der hohen Rate an Selbsttötungen beigetragen haben. "Es herrschen mehr Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit, weil alles so trübe und kalt ist", sagte Platoni. Für die Therapeuten stellen Mehrfach-Auslandseinsätze, die exzessive Verwendung von Anti-Depressionsmitteln und der stigmatisierende Effekt einer psychologischen Behandlung von Soldaten die größte Sorge dar.

"Wenn Menschen getrennt sind, gibt es Untreue, finanzielle Probleme, Drogenmissbrauch und auffälliges Verhalten bei Kindern", sagte die Armee-Psychologin, "Je mehr Auslandseinsätze wir haben, desto mehr verschlimmert sich das Problem." Hinzu käme, dass militärische Führer trotz aller Fortschritte bei der Schulung noch immer solche Soldaten mit Depressionen oder posttraumatischen Störungen beschämten, die sich um eine Behandlung bemühten. Antidepressiva, die betroffenen Soldaten verschrieben werden, können die Nebenwirkung haben, dass sie zu Selbstmordgedanken führen.

Die Januar-Zahl ist so erschreckend, dass der US-Kongress und die Führungsebene der Armee sofort informiert wurden. Bereits die Zahlen für das vergangene Jahr waren die höchsten, seitdem sie vor 28 Jahren zum ersten Mal erhoben wurden. Auch bei der Elitetruppe der Marineinfanterie stiegen die Selbstmordzahlen - waren es 2006 noch 25 Fälle, so waren es 2007 bereits 33 und im vergangenen Jahr bereits 41.

CNN berichtete über den beispielhaften Fall des 23-jährigen Marine Jeffrey M. Lucey, der sich 2004, elf Monate nach seiner Rückkehr aus dem Irak-Einsatz, aufhängte. Sein Vater Kevin Lucey erzählte: "Am Abend davor fragte mich Jeffrey etwa um 11.30 Uhr, ob er auf meinem Schoß sitzen können und ob wir schaukeln könnten. Ich schaukelte ihn 45 Minuten lang - einen 23-jährigen, 70 Kilo schweren Marine. Es war seine letzte Zuflucht. Das nächste Mal, dass ich ihn in den Armen hielt, war, als ich ihn vom Dachbalken abnahm. Er hatte die Schlinge doppelt um seinen Hals gelegt und war tot." Sein Sohn habe nicht die nötige Behandlung von der Veteranenorganisation der Armee erhalten.

"Wir haben 350 000 Dollar Entschädigung von der Regierung erhalten", sagt Kevin Lucey. "Das Idiotische daran ist, dass wir eigentlich nur wollten, dass jemand einen Fehler zugibt. Das tat aber niemand - bis vor Kurzem." Der Fall seines Sohnes habe die Verwaltung der Veteranenorganisation dazu veranlasst, ihr System der psychologischen Betreuung zu ändern. Jeffrey M. Lucey hatte aber auch Angst, eine psychologische Therapie würde seine Chance schmälern, Polizist im Staatsdienst zu werden. Das tat es offenbar aber nicht: "Ein Jahr nach seinem Tod wollten sie ihm den Job geben", sagte sein Vater resigniert.