INTERVIEW Der Islam-Experte Peter Scholl-Latour über Fehler und Illusionen im Irak-Krieg. "Der Dummheit der Menschen sind keine Grenzen gesetzt." Den Beifall kalkuliert Peter Scholl-Latour (79) ein, wenn er über Amerika, Fehleinschätzungen und Illusionen im Irak-Krieg spricht. Der Journalist hat viele Jahre als Korrespondent in Asien, Afrika und Nahost gearbeitet und kennt auch das Geschäft der Kriegsberichterstatter. ABENDBLATT: Der Krieg gegen Saddam geht in den siebten Tag. Anfangs sind die amerikanischen und britischen Militärs von einem schnellen Erfolg ausgegangen, weil sie glaubten, auch die Bevölkerung wolle den Diktator loswerden. War das eine falsche Annahme? PETER SCHOLL-LATOUR: Es gibt eine Stimmung gegen Saddam Hussein, vor allem unter den Schiiten. Das heißt aber nicht, dass die meisten Menschen jetzt zu den "Ungläubigen" überlaufen werden. Die Ressentiments gegen die Amerikaner sitzen seit 1991. seit dem ersten Golfkrieg, viel tiefer als angenommen. Auch das beweist, dass die amerikanischen Kenntnisse über das Land völlig unzureichend sind. ABENDBLATT: Welche Rolle spielt die Religion im Irak? SCHOLL-Latour: Religion ist ein ganz wichtiges politisches Element im Irak. Saddam Hussein war ein säkularer Politiker, zwar ein Massenmörder, aber in der Beziehung dachte er ziemlich modern. Die Christen beispielsweise haben bei ihm großen Schutz genossen. Sie durften zwar politisch nicht aus der Reihe tanzen, aber ihren Glauben und die Kirchen konnten sie behalten. Da war er tolerant. Jetzt haben die Christen Angst, auch darüber müsste man mal reden. Was hier ja nie begriffen wird: Bei den Muslimen erscheint es zutiefst verächtlich, wenn wir uns nicht um unsere eigenen Glaubensbrüder kümmern. ABENDBLATT: Sie warnen vor einem Aufruhr der Schiiten . . . SCHOLL-LATOUR: Es gibt Berichte, dass die Amerikaner gegen Nassirija und Kerbela vorrücken. Das sind die heiligsten Orte der Schiiten, wie Mekka und Medina. Wenn dort bewaffnete Unreine einmarschieren, dann gibt es einen Aufruhr unter allen Schiiten. Dann haben sie wirklich die Masse der Bevölkerung gegen sich, dann kann es zum Partisanenkrieg kommen. ABENDBLATT: Wie informieren Sie sich? SCHOLL-LATOUR: ARD und ZDF sehe ich selten. Ich schaue meist bei BBC, bei CNN und n-tv rein. Da ich den Nahen Osten relativ gut kenne, glaube ich, aus den Berichten die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Zum Beispiel was Kerbela und Nassirija angeht. ABENDBLATT: Es gibt inzwischen Stimmen, das Fernsehen bringe zu viel Kriegsberichte . . . SCHOLL-LATOUR: Aber das ist doch das große Thema der Zeit. Osama bin Laden und Saddam Husein haben ja eine ganze Menge erreicht, nicht militärisch, aber: Sie haben die UNO vorgeführt, die NATO kann so nicht weiter existieren, und die EU ist gespalten. Und das bestehende Völkerrecht aus den Angeln gehoben. Für diese Hammeldiebe eine ganz schöne Leistung . . . Das politische Fazit aus dem Krieg war doch schon vor Beginn der Kampfhandlungen für Amerika negativ. ABENDBLATT: Solche Äußerungen werden ganz schnell als Anti-Amerikanismus ausgelegt . . . SCHOLL-LATOUR: Nein, das ist zu einfach. Es ist ein Fehler, der Bush-Administration einfach so hinterherzulaufen. Der wahre Freund warnt vor den Konsequenzen - und ich glaube, den Amerikanern damit einen Dienst zu erweisen. ABENDBLATT: Was halten Sie von den so genannten "embedded correspondents"? SCHOLL-LATOUR: Die könne ja nichts erzählen, keine Bilder zeigen, alles muss von den Befehlshabern freigegeben werden. ABENDBLATT: Ist es also ein Fehler, sich auf diese Abmachungen mit den Militärs einzulassen? SCHOLL-LATOUR: Diese Reporter sind arme Schweine. Es bleibt vielen TV-Anstalten ja gar nichts anderes übrig, wenn man einen Korrespondenten bei den Streitkräften dabei haben möchte als Augenzeugen. Was mich aber besonders ärgert, sind Pressekonferenzen, die im TV übertragen werden und in denen so wenig fachgerechte Fragen gestellt werden. Den Frontberichterstattern fehlt oft der Hintergrund, es sind keine politischen Analysten. ABENDBLATT: Sie gelten als politischer Analyst, wie gehts weiter? SCHOLL-LATOUR: Dieser Krieg ist nicht von Militärs entworfen worden, sondern von Zivilisten, von Donald Rumsfeld, von Wolfowitz, von Perle. Und von einem Präsidenten, der sich vor dem Vietnam-Krieg gedrückt hat. Das muss man wissen. Die Amerikaner gewinnen den Krieg - aber man weiß heute schon, dass das Land mit den Truppen, die sie dort haben, nicht zu kontrollieren sein wird. Interview: KARIN FRANZKE