Außenminister Westerwelle droht der Regierung Janukowitsch mit Konsequenzen, sucht aber weiter das Gespräch. Seehofer: “Akuter Handlungsbedarf“.

Mainz/Berlin/Washington. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sucht mit Blick auf den gesundheitlichen Zustand der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko weiterhin den Kontakt zur ukrainischen Regierung. Es sei wichtig, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, sagte er am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. In der "Bild-Zeitung" hatte Westerwelle zuvor dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch mit Konsequenzen gedroht. Mit Blick auf die Bestrebungen des Landes, der EU beizutreten, sagte der Außenminister: „Die ukrainische Regierung muss wissen: Der Weg nach Europa führt über eine Brücke, die auf zwei Pfeilern steht: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.“ Der Vorsitzende des Bundestragsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), warnt vor überzogener Kritk. CSU-Chef Horst Seehofer sieht "akuten Handlungsbedarf".

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Timoschenko müsse dringend medizinisch behandelt werden, bekräftigte Westerwelle im ZDF. Sie sei in einer sehr ernsten Lage. „Wir müssen jetzt etwas tun.“ Der FDP-Politiker wiederholte das Angebot, Timoschenko in Deutschland ärztlich behandeln zu lassen. Zuvor hatten sich Politiker verschiedener Parteien wegen der derzeitigen Haftbedingungen der erkrankten ehemaligen ukrainische Regierungschefin für die Verlegung der in der Ukraine geplanten Europameisterschaftsspiele ausgesprochen. Mehrere Bundestagsabgeordnete hatten Deutschland als alternativen Austragungsort ins Gespräch gebracht. Auch Boykott-Forderungen kamen auf.

Er verstehe zwar die aktuelle Diskussion um den Boykott der Europameisterschaft in der Ukraine, sagte Westerwelle – er fügte aber zugleich hinzu: „Wenn wir uns jetzt entscheiden würden, zu boykottieren, dann heißt das, dass wir kaum noch Einwirkungsmöglichkeiten haben, um die Lage von Frau Timoschenko zu verbessern.“ Es gehe nicht um eine Diskussion zwischen Politikern, sondern darum, dass der Frau geholfen werde. Ob ein Boykott als letztes Mittel infrage komme, wollte der Außenminister zunächst nicht kommentieren. Solche Entscheidungen würden gefällt, wenn sie anstünden, sagte er.

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Bosbach warnte davor, bei der Kritik an der Ukraine zu überziehen. „Wenn die Debatte ab jetzt unter der Überschrift „Holt die Spiele von der Ukraine nach Deutschland!“ läuft, würden wir uns damit keinen Gefallen tun, denn die Debatte bekäme plötzlich eine gefährliche politische Schlagseite“, sagte Bosbach der „Saarbrücker Zeitung“. „Keinem politischen Gefangenen wäre damit geholfen“, meinte dagegen Bosbach. Aus heutiger Sicht sei es ein Fehler gewesen, die EM an die Ukraine zu vergeben, „aber zum Vergabezeitpunkt nicht“. Da habe man wohl auch die Ereignisse im Zuge der sogenannten Orangenen Revolution würdigen wollen. Um weiteren Druck auf die Regierung in Kiew auszuüben, plädierte der CDU-Politiker dafür, sich eng mit anderen an der EM teilnehmenden Nationen abzustimmen. „Der Protest wird keine besondere Wirkung in der Ukraine hinterlassen, wenn Deutschland damit allein bleibt“, meinte Bosbach.

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer dringt auf eine „angemessene Behandlung“ der erkrankten ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Es bestehe „akuter Handlungsbedarf“, sagte Seehofer dem „Münchner Merkur“. Er fügte hinzu: „Dem wird sich die ukrainische Regierung nicht entziehen können.“ Ein Sprecher der Staatskanzlei verwies zudem darauf, dass Seehofer „keine Reise zu Spielen der Fußball-Europameisterschaft in Polen und in der Ukraine geplant hatte“.

USA verlangen sofortige Freilassung Timoschenkos

US-Außenministerin Hillary Clinton hatte gestern die Haftbedingungen der ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko kritisiert und eine sofortige Freilassung der im Gefängnis erkrankten Politikerin gefordert. Clinton verwies am Dienstag in einer Erklärung auf kürzlich veröffentlichte Fotos, die belegen sollen, dass Timoschenko von Wärtern geschlagen wurde. Die Aufnahmen ließen noch mehr Zweifel an den Haftbedingungen der Oppositionsführerin aufkommen, erklärte Clinton. Die USA forderten daher nicht nur die sofortige Freilassung von Timoschenko sondern auch die weiterer Kabinettsmitglieder der früheren Regierung.

Timoschenko ist in ihrem Heimatland zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden und klagt über Misshandlungen im Gefängnis. Sie leidet nach eigenen Angaben an schweren Rückenschmerzen und ist in der vergangenen Woche nach den angeblichen Gewaltübergriffen von Wärtern in den Hungerstreik getreten. Die Verfahren gegen sie und andere Mitglieder der früheren Regierung sind in ihren Augen Schauprozesse, um die Opposition mundtot zu machen. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass Timoschenko zur medizinischen Behandlung ausreisen darf. Die Berliner Universitätsklinik Charité hat angeboten, sie medizinisch zu behandeln.

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Die Tochter von Timoschenko hatte zuvor geklagt, dass sich der Gesundheitszustand ihrer hungerstreikenden Mutter dramatisch verschlechtert habe. „Uns läuft die Zeit davon. Ich weiß nicht, wie lange meine Mutter den Hungerstreik noch aushält, ob fünf oder zehn Tage“, sagte Jewgenija Timoschenko in Prag. Die Inhaftierung der früheren Ministerpräsidentin hat wenige Wochen vor Beginn der Fußball-EM zu einem schweren Konflikt zwischen der Europäischen Union und der Ukraine geführt. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso ließ mitteilen, er werde das Land nicht zur Fußball-Europameisterschaft besuchen, die die Ukraine ab Juni gemeinsam mit Polen ausrichtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel macht einen Besuch zur Fußball-EM ebenfalls von der politischen Entwicklung in dem Land abhängig. Die deutsche Fußballnationalmannschaft trägt alle drei Vorrundenspiele in der Ukraine aus. Das Endspiel findet am 1. Juli in Kiew statt.

Mit Material von rtr/dapd/kna