Der Bundesinnenminister spricht Klartext. Offenbar hatten deutsche Geheimdienste engeren Kontakt zu den Tätern als bisher bekannt.

Berlin. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will die Verantwortlichen für Fahndungspannen in der Neonazi-Mordserie zur Rechenschaft ziehen. Zwar könne man die Vorfälle noch nicht abschließend beurteilen, sagte der CSU-Politiker am Sonnabend im niederbayerischen Essenbach. „Aber es sieht so aus, als ob einige Behörden kläglich versagt haben.“ Dies werde Folgen haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte als Konsequenz eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden.

„Keine Frage: Es wird der eine oder andere sich einer peinlichen Befragung unterziehen müssen. Wir werden sehen, was da auch an Strukturen falsch gelaufen ist und Konsequenzen ziehen“, sagte Friedrich am Rande einer Landesversammlung der bayerischen Jungen Union. „Es sieht so aus, als ob die Strukturen doch größer sind, als wir uns das vorgestellt haben, und damit noch gefährlicher, wenn es nicht gelungen ist, trotz einer größeren Gruppe Hinweise zu bekommen.“ Deshalb werde man an die Verfassungsschützer vor Ort schon einige Fragen haben.

Der Thüringer Verfassungsschutz geht nach Informationen von „Spiegel“ und „Focus“ mittlerweile von etwa 20 Unterstützern aus, die dem Trio im Untergrund halfen. Die Suche läuft weiter auf Hochtouren. „Es sind weitere konkrete Personen in unseren Blick geraten“, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Die Ermittlungen erstreckten sich auf das Umfeld der sogenannten Zwickauer Zelle. Am Freitag war bekanntgeworden, dass die Ermittler neben der Hauptverdächtigen Beate Zschäpe und dem in Niedersachsen festgenommenen Holger G. mindestens zwei weitere Verdächtige im Visier haben.

Die Bundesanwaltschaft wirft den drei aus Jena stammenden Rechtsextremisten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zehn Morde vor. Opfer waren zwischen 2000 und 2007 acht türkischstämmige und ein griechischer Kleinunternehmer sowie eine Polizistin. Mundlos und Böhnhardt sind tot, Zschäpe und Holger G. in Untersuchungshaft.

In der ausgebrannten Wohnung des Neonazi-Trios in Zwickau wurde nach Angaben der Bundesanwaltschaft eine weitere DVD sichergestellt. Diese werde derzeit ausgewertet, sagte ein Sprecher. Vor einigen Tagen war bereits ein Bekennervideo der Neonazis aufgetaucht, auf dem sie Morde dokumentieren. Im Brandschutt wurde zudem auch die zweite Tatwaffe des Polizistenmordes von Heilbronn gefunden.

+++ Die Neonazi-Mordserie: Fragen und Antworten +++

Vertreter der Bundesanwaltschaft suchten am Freitag das hessische Landesamt für Verfassungsschutz auf. Dabei sei es auch darum gegangen, wie Akteneinsicht ermöglicht werden könne, sagte ein Sprecher des Landesamtes. Der hessische Verfassungsschutz war heftig in die Kritik geraten, weil ein Mitarbeiter der Behörde 2006 bei einem Mord in Kassel am Tatort gewesen war.

Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) wertete das Vorgehen der Bundesanwälte laut „Frankfurter Allgemeiner Zeitung“ (FAZ) als „feindlichen Akt“. Der Sprecher der Bundesanwaltschaft betonte, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verfassungsschutz mit der Zwickauer Zelle zusammengearbeitet habe.

Die deutschen Geheimdienste hatten trotzdem offenbar engeren Kontakt zu dem Neonazi-Trio als bisher bekannt. Der Thüringer Verfassungsschutz habe Ende der 90er Jahre mindestens drei V-Leute in deren Umfeld geführt, berichtet „Der Spiegel“. Darunter sei neben dem Kopf des „Thüringer Heimatschutzes“ auch der Chef der Thüringer Sektion der Organisation „Blood & Honour“ gewesen.

Laut „Focus“ wurde der Militärische Abschirmdienst (MAD) kurz nach dem Verschwinden des Trios 1998 über dessen Aufenthaltsort informiert. Ein V-Mann des MAD habe den Tipp damals an eine Außenstelle der Behörde in Leipzig weitergegeben, die Information sei aber in der MAD-Zentrale in Köln liegengeblieben.

Union und SPD im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages erwägen laut „Mitteldeutscher Zeitung“, einen Sonderermittler einzusetzen, um die Pannen aufzuklären. Laut „FAZ“ will die FDP-Bundestagsfraktion die Berufung eines solchen Berichterstatters schon kommende Woche beantragen. Dies gilt auch als indirekte Kritik am Vorgehen von Friedrich.

Dieser forderte, die Position der Bundesanwaltschaft zu stärken und mehr Koordination des Generalbundesanwalts zu ermöglichen. Merkel versicherte in ihrer wöchentlichen Videobotschaft: „Ich möchte nie wieder, dass ein Geheimdienst Vollzugsbefugnisse bekommt. Aber informieren müssen sich die Behörden natürlich untereinander. Hier werden wir genau hinschauen, ob wir etwas aus den Vorgängen lernen müssen.“

Bundestag, Bundespräsidialamt und Bundesregierung bereiten gemeinsam eine zentrale Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie vor. „Wir sind uns einig, dass es eine Veranstaltung geben soll“, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dem Berliner „Tagesspiegel am Sonntag“. (dpa)