Der neue US-Präsident Donald Trump macht Politik per Twitter und aus dem Bauch heraus. Die Gefahren für Wirtschaft und Stabilität.

Auf die allgemeine Gültigkeit des Artikels 3 des „Rheinischen Jrundjesetzes“ hoffen derzeit viele in der Berliner Republik: „Et hätt noch emmer joot jejange“, heißt es da – es ist noch immer gut gegangen. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und angekündigte Katastrophen sind bislang stets ausgefallen. So soll es auch bei Trump werden – jeder Tag, an dem er nicht in einem irren Twitter-Tweet Unternehmen, Politiker oder ganze Länder beschimpft, gilt als guter Tag.

Die Nachricht, dass ausgerechnet sein Schwiegersohn Jared Kushner sein engster Berater wird, stimmt Beobachter gar hoffnungsfroh. Wie schnell die Ansprüche sinken. Derlei Personalpolitik kannte man bislang nur aus Bananenrepu­bliken. Man klammert sich eben an jeden Strohhalm.

190-jährige Weisheit widerlegt

Einiges spricht dafür, dass der 8. November der Tag ist, an dem eine 190-jährige Weisheit widerlegt wurde. „Amerika, du hast es besser“, hatte Johann Wolfgang von Goethe 1827 gedichtet. Seit der Wahl von Donald Trump sind Zweifel erlaubt. Zunächst einmal Zweifel an einem Wahlsystem, das sich Mehrheitswahlrecht nennt, aber den zweiten Sieger mit zwei Prozentpunkten beziehungsweise 2,7 Millionen Stimmen Rückstand zum Sieger erklärt.

Zweifel auch an einer Gesellschaft, die ihr Vertrauen in das Spitzenpersonal verloren hat und lieber Lügen, Halbwahrheiten und konstruierten Wirklichkeiten folgt als dem verhassten Establishment. Doch vor Hochmut sei gewarnt: Wie immun die Europäer und die Deutschen gegen Populismus jeder Couleur sind, steht noch dahin.

Trumps Wahlsieg steht wie der Brexit für eine Zeitenwende.

1.) Medien, Meinungsforscher und Meinungsführer haben den Kontakt zum Denken der „kleinen Leute“ verloren und agieren mitunter abgehoben in Blasen. Willkommen in der postfaktischen Zeit.

2.) Die Spaltung der Gesellschaft geht tiefer als befürchtet, Wut und Verunsicherung über die Folgen der Globalisierung reichen bis tief in die Mittelschicht. Früher glich das Morgen einem Versprechen, heute gilt die Zukunft als Bedrohung. An die Stelle der Utopie tritt die Dystopie. Willkommen in der Ära von Angst und Wut.

3.) Die Wahl Trumps ist ein Einschnitt – seit dem Fall der Mauer haben Globalisierung, Freihandel und Entgrenzung triumphiert. Damit dürfte es vorerst vorbei sein. Willkommen im nachliberalen Zeitalter.

4.) Die letzte verbliebene Supermacht verabschiedet sich von der Pax Americana. Willkommen in einem Jahrzehnt der Unübersichtlichkeit.

Der Reihe nach.

Eine Präsidentschaft, die auf Lügen errichtet ist

Wer dem indischen Politiker Mahatma Gandhi glaubt, muss vier schlechte Jahre fürchten: „Gutes kann niemals aus Lüge entstehen.“ Donald Trump hat seine Präsidentschaft auf einem ganzen Lügengebäude errichtet – im Wahlkampf hat er die Wahrheit so gebeugt, verdreht und verschleiert, dass allein deshalb viele seine Kandidatur für aussichtslos hielten. Welch ein Irrtum.

In postfaktischen Zeiten ist eine populäre Lüge effizienter als eine komplizierte Wahrheit und verteilt sich millionenfach durch das Netz, sie wird in den Echokammern der sozialen Netzwerke ständig reproduziert. „Noch nie hatten wir einen Präsidenten, für den Lügen ein essenzieller Bestandteil seiner Regierungsstrategie war“, schrieb die „Washington Post“.

In Zeiten, in denen klassische Medien an Einfluss verlieren, haben es Lügen leichter – erst recht, wenn Krawall-Nachrichtenseiten wie Breitbart.com geschickt mit Ressentiments spielen. Erschwerend hinzu kam, dass auch die Gegenkandidatin, die dramatische Fehlbesetzung Hillary Clinton, vielen als Lügnerin galt. Wahrheit bekommt da etwas Relatives. Mit dem Triumph von Trump ist etwas wahr geworden, was sich die amerikanische Ost- und Westküstenelite nicht einmal im Traum vorstellen konnte.

Rache der wütenden Wähler aus Rost- und Bibelgürtel

Amerika ist ein zutiefst gespaltenes Land. In Europa hält man die Staaten manchmal in einer naiven Verkennung für eine Addition aus Hollywood, dem Silicon Valley und New York – und übersieht die Welten dazwischen. Im Rostgürtel deindustrialisierter Gebiete im Nordosten und im Bibelgürtel im Süden gibt es Millionen unzufriedener und abgehängter Menschen, die der Elite herzlich egal waren.

Man weiß nicht einmal, ob sie den kruden Versprechen des Immobilienmilliardärs Glauben schenken – man weiß nur, an die herkömmliche Politik glauben sie schon lange nicht mehr. Darin steckt ein gewaltiges Enttäuschungspotenzial, das sich – sollte Trump scheitern – bis zur nächsten Wahl weiter radikalisieren könnte. Genau hier liegt der Vorteil des Sozialstaates europäischer Prägung, den viele An­gloamerikaner stets abgelehnt haben. Er ist womöglich resistenter gegen einen selbstzerstörerischen Populismus.

Das Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen

In der Wirtschaft geht schon die Angst um, dass die goldenen Zeiten des Welthandels bald Vergangenheit sein könnten – für die deutsche Wirtschaft ist das aus zwei Gründen eine Horrornachricht. Die USA sind zum einen der wichtigste Handelspartner, zum anderen hat kein Land so sehr vom Welthandel profitiert wie der Exportweltmeister Deutschland.

Und für Hamburg als Hafenstadt gelten diese Sätze besonders. Norddeutschlands Metall- und Elektroindustrie etwa ist vor dem Amtsantritt des Präsidenten Trump in großer Sorge: „Fast 60 Prozent der Unternehmen erwarten eine Verschlechterung der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen nach der Übernahme der Regierung durch Donald Trump“, sagt Nico Fickinger, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Nordmetall, nach einer aktuellen Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen. Das Freihandelsabkommen TTIP ist schon tot, neue Handelshemmnisse am Horizont erkennbar.

Strategien im Handelskrieg

Strafzölle oder eine Steuerreform, die Importeure benachteiligt, könnten Strategien im Handelskrieg sein. Die Angst der Firmen ist nicht unbegründet, denn Donald Trump setzt auf einen Protektionismus, der lange überwunden schien. Mit Toyota legte er sich an, weil der Konzern zu wenig in den USA investiere; die großen Autobauer schwenkten schon auf America first ein: Ford stoppte seine geplanten Milliardeninvestitionen in eine neue Fabrik in San Luis Potosi/Mexiko.

Stattdessen sollen nun 700 Millionen Dollar in ein US-Werk in Michigan fließen; auch GM und Fiat Chrysler kündigten Großinvestitionen an. America first verlangt, in den USA zu produzieren oder empfindliche Strafzölle zu riskieren. Im Interview mit der „Bild“-Zeitung machte der zukünftige Präsident klar, dass die Deutschen bald für „jedes Auto, das in die USA kommt, 35 Prozent Steuern zahlen“.

Auch Bayer-Monsanto und Walmart schickten schon Ergebenheits­adressen an den neuen starken Mann im Weißen Haus: Die meisten Unternehmen denken nicht politisch, sondern allein schon aus aktienrechtlichen Gründen an den eigenen Profit. Sie werden eher kuschen als sich wehren. In den USA könnte in den kommenden vier Jahren beobachtet werden, wie ausgerechnet der Kapitalismus seine vermeintlichen Grundwerte von Freihandel und Globalisierung opfert. Zugleich zeigt sich in Mexiko längst ein gefährlicher Trump-Effekt: Sein Wahlsieg hat den Peso ins Rutschen gebracht, die Unruhen wachsen.

Europa muss endlich erwachsen werden

Die größte Gefahr für die kommenden Jahre geht sicher von einem Narzissten im Weißen Haus aus, der Diplomatie mit Twitter-Diarrhö verwechselt, Sicherheitspolitik nur vom Hörensagen kennt und dem jede Rücksicht fremd ist, der dummerweise aber den Atomkoffer sein Eigen nennt. Schon bevor er sein Amt antritt, hat er den Brexit gefeiert, China schwer verstört und die Nato für „obsolet“, also überflüssig, erklärt. Aus Lust und Laune, Ahnungslosigkeit oder Arroganz twittert er gegen China. Das nützt niemandem, reißt aber auf weniger Zeilen ein, was Präsidenten vor ihm an bilateralen Beziehungen aufgebaut haben.

Donald Trump denkt wie ein Unternehmer und hält die USA für einen Konzern, dementsprechend sind andere Staaten Konkurrenten. Das ist ein Paradigmenwechsel; so nimmt Trump die EU weder als Partner noch als Friedensprojekt wahr, sondern als Wettbewerber, den er zu schwächen sucht. Der „Bild“ sagte er: „Wenn Sie mich fragen: Es werden weitere Länder austreten.“

Europa hat sich gern auf die Supermacht verlassen

Bislang hat sich Europa gern auf die Supermacht jenseits des Atlantiks verlassen, das war bequem, günstig und ­einfach. Der Kontinent hat sich wie ein kleiner Junge auf den großen Bruder verlassen und sich in seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit gemütlich eingerichtet. „Das Selbstbewusstsein von Menschen einer Nation oder auch eines Kontinents erfordert, für sich selbst verantwortlich zu sein. Europa muss in der Lage sein, selbst über europäische Außenpolitik entscheiden zu können“, sagte schon vor Längerem der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi.

Trump könnte Europa zu dieser Selbstfindung zwingen. Sein Augenmerk – da folgt er seinem Wahlversprechen „Make America great again“, liegt eindeutig in den Staaten. Und seine im Wahlkampf und zuletzt demonstrierte Nähe zu Russlands Premier Wladimir Putin lässt gerade in Osteuropa die Alarmglocken schrillen. Nun steht nicht zu befürchten, dass Trump die Nato zerschlägt, aber er wird die Verbündeten zweifelsohne zu größerem Einsatz zwingen. Als Unternehmer wird er „Deals“ suchen: Die Militärhaushalte, nach dem Ende des Kalten Krieges in Europa zurückgefahren, werden wachsen müssen.

Deutschlands Aufgabe in der Welt wird größer

Hinter der Vereinbarung, zwei Prozent des Sozialprodukts für Verteidigung bereitzustellen, blieben außer Estland, Griechenland, Polen und Großbritannien alle Nato-Länder zurück. Gerade Deutschland wird liefern müssen, liegt es beim Verteidigungsetat sogar 28 Milliarden Euro hinter dem gemeinsamen Ziel – pro Jahr. Aber auch die klammen Italiener und Spanier werden ihre Staatshaushalte belasten müssen. Gute Nachrichten in der Schuldenkrise klingen anders.

Selbst die Wehrpflicht, unter Angela Merkel ausgesetzt, könnte bald zurückkehren. Unmöglich? Dachte man in Schweden auch, als die Wehrpflicht 2010 abgeschafft wurde. Nun kommt sie 2018 zurück – für Männer und Frauen. Deutschlands Aufgabe in der Welt wird dabei eher größer denn kleiner. Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, schrieb in der „FAZ“, Deutschland müsse eine „konsequente Alternative zum Populismus durchsetzen“. Das Land könne „ein integrierender Knotenpunkt für eine neue Art von Wirtschafts- und Sicherheitspolitik (werden); ein Bindeglied für Informations- und Logistiknetze, das die eurasische Landmasse auch über den Atlantik mit Nordamerika verbindet“.

Normale Beziehungen sind die Herausforderung

Das klingt hübsch, dürfte aber etwas viel verlangt sein. Deutschland ist mit der bröckelnden Europäischen Union, der wachsenden Terrorgefahr und der Euro-Krise schon genug gefordert und hat sich zudem mit der Massenmigration der vergangenen Monate übernommen.

So schwierig es klingt, halbwegs normale Beziehungen zum Präsidenten Trump sind die Herausforderung, die ausnahmsweise wirklich alternativlos ist. In Amerika hingegen muss sich erweisen, wie gut das System der „Checks and Balances“ funktioniert, die gegenseitige Kontrolle der Macht durch den Präsidenten, Kongress und Obersten Gerichtshof. Und wie stark die Zivilgesellschaft, die Medien und die Verbände in den Staaten dem Präsidenten auf die Finger schauen und notfalls hauen.

Der US-Schriftsteller John Steinbeck sagte einst, dass „eine selbstbewusste Gesellschaft viele Narren ertragen“ kann. Wie selbstbewusst die Vereinigten Staaten sind, auch das wird man ab Freitag ermessen können.

Morgen schreibt Hans-Ulrich Klose, ehemaliger Hamburger Bürgermeister und Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit.