Die Vereinigten Staaten sind derzeit mit einem Anteil von 22 Prozent vor Japan und Deutschland größter Beitragszahler der Unesco.

Paris/Berlin/Ramallah/Tel Aviv. Erst allmählich zeichnet sich die Tragweite der gestrigen Unesco-Entscheidungen ab: Entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der USA, hat die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur Palästina als Vollmitglied aufgenommen. Die historische Entscheidung führt wohmöglich zu Konsequenzen, die für die Unesco höchst problematisch werden könnte. Erste Auswirkung: Am Abend verkündeten die USA ihre Entscheidung, die Beitragszahlungen an die Unesco zu stoppen. Die für November geplante Zahlung in Höhe von 60 Millionen Dollar (42 Millionen Euro) entfällt, sagte Außenamtssprecherin Victoria Nuland am Montag in Washington. Die Entscheidung der UNESCO, Palästina als Vollmitglied aufzunehmen sei bedauerlich und voreilig. Der Schritt untergrabe „unser gemeinsames Ziel eines umfassenden, gerechten und dauerhaften Friedens“ zwischen Israel und den Palästinensern, sagte Nuland. Die USA blieben jedoch UNESCO-Mitglied.

Nach Angaben der US-Außenministerin Hillary Clinton ist es der US-Regierung sogar gesetzlich verboten, Organisationen zu finanzieren, die die Palästinenser als Mitglied akzeptieren. "Dieser Schritt könnte mögliche Folgen auf die Finanzierung durch einige Mitgliedsstaaten haben“, hatte UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon am Montag schon vor der US-Entscheidung in New York geahnt. Der stockende Geldfluss ist für die UN-Organisation ein Horrorszenario. Die USA sind derzeit mit einem Anteil von 22 Prozent vor Japan und Deutschland größter Beitragszahler der Unesco. Der aktuelle Zweijahreshaushalt der Organisation beläuft sich ohne extrabudgetäre Mittel auf 653 Millionen US-Dollar. Die Folge: Viele Kulturförderungsprojekte könnten beendet werden.

Unesco ohne die Vereinigten Staaten

Völlig einzigartig wäre eine Unesco ohne US-Gelder unterdessen nicht. 1984 traten die USA schon einmal aus der Organisation aus. Als Gründe gaben sie damals die anti-westliche Politisierung und ein ineffizientes Management an. Beides hätte die Unesco von den ursprünglichen Grundsätzen ihrer Verfassung abgebracht und eher den politischen Absichten von Mitgliedstaaten als der internationalen Berufung der Unesco gedient. Erst 2003 kehrten die USA zurück. Bei der vor allem für das Welterbe-Programm und die Bildungsförderung bekannten Unesco wird befürchtet, dass es eine zweite Rückkehr nicht geben würde.

Hintergrund: In der Generalkonferenz in Paris votierten am Montagmittag 107 Mitgliedstaaten für eine Aufnahme Palästinas. 14 Länder stimmten dagegen, darunter neben den USA auch Deutschland. 53 Staaten enthielten sich nach Unesco-Angaben. Damit die Mitgliedschaft wirksam wird, müssen die Palästinenser die Unesco-Verfassung ratifizieren. Für Deutschland, die USA und die zwölf anderen Aufnahme-Gegner gilt die Pariser Entscheidung als bittere Schlappe. Sie hatten argumentiert, dass eine Aufnahme der Palästinenser nur schaden könne, solange es keine neuen Friedensverhandlungen mit Israel und keine Entscheidung über die UN-Mitgliedschaft gebe.

Deutschland hat nach Ansicht von SPD-Fraktionsvize Gernot Erler bei der Unesco-Abstimmung über die Aufnahme Palästinas als Führungsmacht in Europa versagt. „Wir stehen wieder als handlungsunfähig da in Europa, das ist ein absolutes Desaster“, sagte Erler am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Am Montag hatten 107 Mitgliedsstaaten der Sonderorganisation der Vereinten Nationen Unesco dem Beitritt Palästinas zugestimmt, darunter auch Frankreich – Länder wie Deutschland und USA votierten dagegen. Erler warf der Bundesregierung „mangelnden Willen“ vor, für eine einheitliche Abstimmung in Europa zu sorgen. „Es ist mir völlig unverständlich nach dem Libyen-Desaster, dass sich die EU jetzt schon wieder in einer solchen Weise zerlegt bei einer wichtigen internationalen Frage“, sagte der Oppositionspolitiker Erler.

Palästina jubelt - Bald auch über UN-Aufnahme?

Unklar ist bislang, ob die Entscheidung vom Montag auch Konsequenzen für andere UN-Organisationen hat. Die Entscheidung der Unesco platzt mitten in die Beratungen bei der Mutterorganisation in New York. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte dort am 23. September die Aufnahme eines unabhängigen Palästinenserstaates in die Vereinten Nationen beantragt. Ein Ausschuss prüft derzeit, ob die Palästinenser die in der UN-Charta verankerten Aufnahmebedingungen erfüllen. Die USA können die Aufnahme jedoch mit einem Veto im Weltsicherheitsrat stoppen. Dies galt bislang als sicher.

Unterdessen sprach ein Berater von Abbas am Montag von einem "Tag des Jubels“. "Dies ist ein historischer Tag für die Palästinenser“, sagte Sabri Saidan nach der Unesco-Aufnahme Palästinas. Die Entscheidung sei eine weitere "politische Säule“ im Kampf um palästinensische Selbstbestimmung. "Wir sind näher an der Unabhängigkeit als je zuvor“, sagte Saidan. "Dies ist eine wichtige Botschafter an jene, die gegen den palästinensischen Vorstoß beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sind.“ Die Gegner von Abbas' Antrag auf Vollmitgliedschaft vor dem UN-Sicherheitsrat müssten ihre Position nun noch einmal überdenken, forderte der Berater.

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Zu den Gegnern gehört mit seinem Veto auch Deutschland. Nach Auffassung der Bundesregierung könnte die Aufnahme Palästinas in die Unesco negative Auswirkungen auf den Nahost-Friedensprozess haben. Der Antrag könne die erst kürzlich unter Vermittlung des Nahost-Quartetts begonnenen, ohnehin schon schwierigen indirekten Gespräche zusätzlich belastet, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes (AA) am Montag in Berlin. Zur Begründung des deutschen Vetos gegen die Unesco-Aufnahme Palästinas sagte der Ministeriumssprecher, die Bundesregierung sei der Auffassung, dass der Unesco-Antrag das derzeit im UN-Sicherheitsrat laufende Verfahren auf Aufnahme eines Palästinenserstaats in die Vereinten Nationen "nicht beeinträchtigen und auch nicht präjudizieren sollte“.

Israel lehnt Unesco-Entscheidung ab

Israel will die Zusammenarbeit mit der Unesco nach der Aufnahme Palästinas als Vollmitglied neu überdenken. "Israel will weitere Schritte hinsichtlich der Kooperation mit der Organisation erwägen“, teilte der israelische Außenamtssprecher Jigal Palmor am Montag mit.

Israel lehne die Entscheidung der Unesco ab. "Dies ist ein einseitiges palästinensisches Manöver, das keine Veränderung vor Ort bringen wird, aber die Möglichkeit einer Friedensvereinbarung in weitere Ferne rücken lässt“, hieß es in der Mitteilung Palmors.

Fortschritte in Nahost könnten nur mit Hilfe direkter Verhandlungen beider Seiten erzielt werden. Der Vorstoß der Palästinenser bei der Unesco sowie anderen UN-Organisationen sei gleichbedeutend mit "einer Ablehnung der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, den Friedensprozess voranzubringen“. Es sei enttäuschend, dass es der Europäischen Union nicht gelungen sei, die Unesco-Entscheidung zu verhindern.

Mit dem Unesco-Exekutivrat hatte sich bereits Anfang des Monats das zweitwichtigste Gremium der Organisation für eine Vollmitgliedschaft Palästinas ausgesprochen. Mit Deutschland, den USA, Lettland und Rumänien stimmten damals bei 14 Enthaltungen nur vier von 58 Exekutivrats-Mitgliedern gegen den palästinensischen Vorstoß. Sie waren der Ansicht, dass das Aufnahmeverfahren dem Friedensprozess im Nahen Osten nur schaden könne. Eine Vollmitgliedschaft für Palästina hätte es ihrer Ansicht nach erst nach neuen Friedensverhandlungen mit Israel geben sollen.

Hintergrund: Das ist die Unesco

Die UN-Sonderorganisation Unesco hat gemäß ihrer 1946 in Kraft getretenen Verfassung die Aufgabe, „durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern in Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit beizutragen“. Arbeitsschwerpunkte sind die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Entwicklung Afrikas.

Die Organisation bezieht ihre finanziellen Mittel hauptsächlich aus den Pflichtbeiträgen der Mitgliedstaaten. Der Zweijahreshaushalt 2010/2011 umfasst 653 Millionen US-Dollar. Davon entfallen auf die Programme für Bildung 118,5 Millionen, Wissenschaft 89 Millionen, Kultur 53 Millionen sowie Kommunikation und Information 33 Millionen. BILDUNG: Die Unesco koordiniert das weltweite UN-Aktionsprogramm „Bildung für alle“ und die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005-2014). Sie gibt jährlich einen Weltbildungsbericht heraus und setzt sich für lebenslanges Lernen ein. Weltweit engagieren sich etwa 8500 Schulen im Netz der Unesco-Projektschulen. KULTUR: Die Organisation will das Kulturerbe schützen, die kulturelle Vielfalt bewahren und den Dialog der Kulturen fördern. Seit 1978 erstellt sie eine Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt mit inzwischen 936 Denkmälern, historischen Städten und Landschaften. Diese sind laut Unesco so wertvoll, dass für ihren Schutz die ganze Menschheit verantwortlich sein soll und nicht nur ein Staat. Mit dem Programm „Memory of the World“ will die Unesco das dokumentarische Erbe der Menschheit in Archiven und Bibliotheken sichern. WISSENSCHAFT: Die Unesco fördert die internationale Zusammenarbeit in den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften. Das Themenspektrum reicht dabei von Menschenrechten, Ethik und Philosophie über die Erforschung der Ozeane bis zu Unesco-Biosphärenreservaten. Das 1971 gegründete Programm „Der Mensch und die Biosphäre“ erforscht und fördert zukunftsfähige Formen der Nutzung der Umwelt durch den Menschen, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. KOMMUNIKATION: Die Hauptziele des Programms „Kommunikation und Information“ sind Wissen und Information für alle, der Einsatz von Informationstechnologie als Entwicklungsfaktor und die Förderung der Pressefreiheit. Durch die Ausbildung von Journalisten und den Aufbau unabhängiger Medien in Entwicklungsländern und Konfliktregionen will die Unesco weltweit zu einer freien Presse beitragen.

Mit Material von dpa und dapd