Hamburg. Steuert die Weltwirtschaft direkt auf den Kollaps zu? Dennis Meadows, Frank Otto und Jakob von Uexküll im Gespräch mit dem Abendblatt.

„Es gibt einen Unterschied zwischen Information und Material“, sagt Dennis Meadows. „Geben Sie Information weiter, behalten Sie sie gleichzeitig. Geben Sie Material weiter, haben Sie nichts mehr. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, ein Spezialist für Information zu werden – ein Professor. Es sind Ideen, die mich vorantreiben.“ Der 72 Jahre alte Amerikaner ist Verfasser der legendären Studie „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972, deren Veröffentlichung die weltweite Umweltbewegung lostrat.

„Ich mag Menschen“, sagt Frank Otto, 57. Der Hamburger Medienunternehmer ist sozial stark engagiert, unter anderem in dem Verein „Kultur für alle e.V.“. „Ich traue Menschen eine Menge zu, auch die Kraft zu positiven Veränderungen.“

„Meine Frage war immer: Warum leben wir mit Problemen, die wir lösen können?“, sagt Jakob von Uexküll, 70. „Die Lösungen sind da.“ Der Deutsch-Schwede ist Stifter des Alternativen Nobelpreises und Initiator des „World Future Council“ (WFC), der in Hamburg beheimateten globalen Organisation für Völkerverständigung, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung. Auf Einladung des WFC und „Kultur für alle“ sind die drei in Hamburg zusammengekommen – zu Gesprächen über die Lage unserer Welt

Vor 43 Jahren warnte Meadows vor einem Kollaps der Weltwirtschaft vor dem Jahr 2100. An welchem Punkt sind wir nun? „Wir sind dem Katastrophen-Zeitplan voraus“, sagt er trocken. „Die Dinge entwickeln sich schneller, als wir erwartet haben. Das gilt vor allem für den Klimawechsel. So schmelzen die Gletscher schneller, als wir dachten.“ „Wir verlieren jedes Jahr Handlungsoptionen“, sagt Jakob von Uexküll. „Einige optimistische Szenarien, die es noch vor zehn Jahren gab, sind heute unmöglich geworden.“

Was sind denn die vordringlichsten Gefahren – für Deutschland und die Welt? „Zum Beispiel die Einwanderung“, sagt Meadows. „Sie haben hier ein interessantes Paradoxon: Liberale Denker wollen keinen Stopp der Einwanderung, weil sie meinen, das verstoße gegen die Humanität. Sie stimmen dann Maßnahmen zu, die am Ende zu einem Verlust der Liberalität in Europa führen. Sie sehen das am Anwachsen der Rechten.“

Der Klimawandel ist für alle drei eine der Hauptbedrohungen der Welt. Auch der Verlust an billiger Energie sei eine ernsthafte Gefahr für Industriestaaten. „Wir glauben, dass unsere Zivilisation abhängig ist von fossilen Brennstoffen wie Öl“, sagt Meadows. „Das ist nicht ganz korrekt: Sie ist abhängig von billigem Öl. Öl wird nicht wirklich knapp, aber es wird irgendwann Milliarden kosten, an ein paar Liter heranzukommen. Das wirft Gerechtigkeitsdebatten auf, die die Industriestaaten vermeiden, um nicht ihr Wachstum zu gefährden.“

Für den Deutsch-Schweden von Uexküll ist das „Klima-Chaos“ die größte Bedrohung für die Welt. „Wenn das Klima zusammenbricht, dann haben wir auch sonst nichts mehr – auch keine Menschenrechte, sondern nur noch Chaos. Wenn wir nicht daran gehen, mit drastischen Maßnahmen das Klima zu stabilisieren, dann sehen wir uns mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen aus Afrika binnen der nächsten 20 Jahre konfrontiert. Denn Teile Afrikas werden aufgrund des Klimawandels unbewohnbar.“

Verändern neue Energiegewinnungstechnologien wie Fracking nicht das Bild? „Nein!“ sagt Meadows. „Erstmal ist Fracking keine wirklich neue Technologie. Neu daran war nur, dass der Ölpreis bis vor Kurzem hoch genug war, um es lohnend zu machen. Es ist eine teure Technologie. Und seitdem der Ölpreis gefallen ist, machen in den USA die Fracking-Firmen pleite. Sie haben schon vorher Geld verloren. Fracking ist ein großer Schwindel.“

„Es ist zudem Ausdruck dafür, dass man an fossilen Brennstoffen festhalten will“, sagt Frank Otto. Und das Schlimme ist – dafür gibt es auch noch Fördergelder. Mindestens das Fünffache von dem, was in erneuerbare Energien gesteckt wird.“ Von Uexküll ergänzt: „Uns wird immer noch eingeredet: Wir können Wachstum haben ohne Ende, jeder kann alles haben, was er will. Und das ist naiver Unsinn.“

Ist denn unser Wirtschaftssystem überhaupt möglich ohne Wachstum? „Natürlich können Sie eine Wirtschaft ohne Wachstum haben“, sagt Meadows. „Das hat es Tausende Jahre lang gegeben. Die Schlüsselfrage ist die Tragfähigkeit der Erde. Wenn die Erde eine Milliarde Einwohner hätte, dann könnte jeder einen deutschen Lebensstandard haben. Wir haben aber mehr als sieben Milliarden – und damit ist das völlig unmöglich.“ „Da höre ich, dass die Welt drei Prozent Wachstum benötigt“, sagt von Uexküll, „und dann sagt mir der Chef eines Bergbauunternehmens ‘wir fördern gar nicht genügend Rohstoffe für drei Prozent Wachstum’. Denken Sie an die Industrialisierung im Deutschen Reich – sie wurde erreicht mit jährlichen Wachstumsraten um ein Prozent. Unser System stellt fehlerhafte Berechnungen auf.“

Brauchen wir für diese Veränderungen einen neuen Menschen mit einer neuen Mentalität? „Nein, aber keines der genannten Probleme wird mit neuen technischen Erfindungen gelöst werden“, sagt Dennis Meadows. „Stellen Sie sich vor, jemand will Sie mit einem Revolver töten. Wenn Sie den Revolver durch einen Hammer ersetzen, dann verändern Sie die Technologie – nicht aber seine Absicht. Das Ergebnis ist das Gleiche. Unglücklicherweise verhält es sich mit dem Kapitalismus auch so.“ Von Uexküll verweist darauf, dass die Klimakatastrophe sogar nukleare Risiken mit sich bringt. „Nach dem Ende des Kalten Krieges atmeten wir alle erleichtert auf. Im Zuge des Klimachaos wird die Lage wieder gefährlich.“ Was werde ein pakistanischer Machthaber im Besitz von Atomwaffen wohl tun, wenn seinem Volk das Trinkwasser ausgeht? Er werde die Waffe als Druckmittel einsetzen.

Wie kann man die Bevölkerungsexplosion in Gebieten stoppen, wo Kinder als einzige Altersvorsorge gelten? „Mittels stärkerer Rechte und besserer Bildung für Frauen“, sagt Jakob von Uexküll. „Statistisch betrachtet ist ein Drittel aller Kinder ungewollt. Mit dem World Future Council stärken wir die Rechte der Frau, Verhütungsmittel zu nehmen und zu entscheiden, wie viele Kinder sie gebären will. Und gebildetere Frauen haben weniger Kinder. Das ist der einzig realistische Weg.“