Der chinesische Dissident Liu Xiaobo erhält den Friedensnobelpreis. Die Auszeichnung ermutigt die Bürgerrechtsbewegung in China.

Peking. Die chinesische Führung in Peking hat ein Problem: Liu Xiaobo, 55, Schriftsteller und Weihnachten 2009 unter Ausschluss westlicher Beobachter wegen "Anstachelung zum Umsturz der Staatsgewalt" zu elf Jahren Haft verurteilt, erhält den Friedensnobelpreis. Er ist der erste Chinese, der damit ausgezeichnet wird. Das norwegische Nobel-Komitee sagte am Freitag in Oslo, Liu werde für seinen „langen und gewaltlosen Kampf für fundamentale Menschenrechte in China ausgezeichnet“. Sollte Liu Xiaobo die Auszeichnung erhalten, würde dies den Beziehungen zwischen Norwegen und China schaden, hatte eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums im Vorfeld gesagt.

Liu Xiaobos Frau Liu Xia sagte kurz vor der Verleihung, die geistige Verfassung ihres Mannes sei recht gut, doch leide er in der Haft immer wieder unter Magenproblemen. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er den Nobelpreis gewinnen würde“, sagte Liu Xia der Nachrichtenagentur dpa. „Deswegen ist es umso schwerer, mir vorzustellen, wie sich alles entwickeln wird, nachdem er ihn bekommen hat.“

In diesem Frühjahr war Liu Xiaobo von Peking in das weit entfernt gelegene Jinzhou Gefängnis in der nordostchinesischen Provinz Heilongjiang verlegt worden. Die Staatssicherheit hatte seine Frau Liu Xia am Abend vor der Vergabe des Friedensnobelpreises wegen des großen internationalen Medieninteresses aufgefordert, Peking zu verlassen, doch weigerte sie sich.

Ihre Stimme für den Bürgerrechtler hatten vor der Wahl erhoben: Vaclav Havel und andere Unterzeichner der tschechischen Charta 77, der Dalai Lama, der Präsident des amerikanischen PEN-Clubs, Kwame Anthony Appiah, und der südafrikanische Bischof Desmond Tutu. Schon vor dem Prozess und vor der Berufungsverhandlung hatten sich die Europäische Union, Hunderte Schriftstellerkollegen aus vielen Ländern der Erde und auch Außenminister Guido Westerwelle für den inhaftierten Autor eingesetzt.

In China hatten sich mehr als 300 Intellektuelle namentlich einer entsprechenden Petition im Internet angeschlossen - wohl wissend, dass sie sich damit unkalkulierbaren Repressionen aussetzen können. Aufbegehren unter den Augen der internationalen Öffentlichkeit: Das kann den Hardlinern in der Führung nicht gefallen.

Die Regierung in Peking reagierte denn auch alles andere als souverän auf die Petitionen. Sie warnte einerseits nervös vor einer "für jeden offensichtlich total falschen Entscheidung" und versuchte andererseits, sich reinzuwaschen mit einem "Weißbuch zu den Menschenrechten in China". Demzufolge sei fast schon verwirklicht, was Liu Xiaobo, seine Mitautoren und 10 000 chinesische Mitunterzeichner in der "Charta 08" forderten, die sie dem Propagandabild anlässlich der Olympischen Spiele 2008 entgegenstellten. In 19 Punkten wird in der "Charta 08" verlangt, was China auf dem Weg zu einem demokratischen Mitglied der Völkergemeinschaft braucht, etwa freie Wahlen, eine politisch neutrale Polizei, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, soziale Sicherheit und eine Aufarbeitung der repressiven Vergangenheit.

Das drakonische Urteil gegen Liu wird von China-Experten im Zusammenhang mit dem 2012 anstehenden Umbau der Führungsspitze des Landes gesehen, vor dem sich niemand öffentlich als Liberaler profilieren will.

Noch sind in Peking die Kräfte in der Minderheit, die sich mit Kritikern zivilisiert auseinandersetzen wollen; noch verschwinden Menschen wie der Schriftsteller Liu Xiaobo im Gefängnis. Der Literaturdozent und ehemalige Präsident den unabhängigen chinesischen PEN-Clubs sitzt etliche Autostunden von Peking entfernt in Gefängnis Jingzhou in der Provinz Liaoning. Seine Frau, die Künstlerin Liu Xia, darf ihn einmal im Monat besuchen und ihm Bücher mitbringen. Seine Haftzeit endet, sollte das Urteil nicht revidiert werden, am 21. Juni 2020.