Twitter-Wahlkampf, Führungskrise, Eigenbrötler: Die Grünen wollen sich bei ihrem Parteitag neu erfinden. Die Wähler haben einen klaren Favoriten für die neue grüne Richtung.

Hamburg. So sehen moderne Wahlkampfgeplänkel aus: Abgeordnete (Grüne) fetzt sich auf Twitter mit Abgeordnetem (CDU). Es geht um alte Rechnungen und neue Konstellationen. Katharina Fegebank und Carsten Ovens, Hamburger Lokalpolitiker, lieferten sich im Kurznachrichtendienst Twitter eine Auseinandersetzung über die Stadtbahn. Die ist längst Geschichte und wird wohl auch nicht mehr aus der Mottenkiste der geplanten und verworfenen Verkehrsprojekte geholt.

Doch es wirft ein Schlaglicht auf die silly season, die verrückte Zeit vor den Bürgerschaftswahlen am 15. Februar in Hamburg. Da positioniert man sich für mögliche Koalitionen wie die Grünen, die die Stadtbahn wollten, dann wieder nicht – und sie in einer möglichen Koalition mit der SPD und Bürgermeister Olaf Scholz nach der Wahl 2015 sowieso nicht durchsetzen könnten. Und für Schwarz-Grün reicht es eh nicht, wenn man den Umfragen glaubt.

Die Grünen kommen aber an diesem Freitag zu ihrem Bundesparteitag in Hamburg zusammen und müssen sich mit Blick auf die Hamburg-Wahl und die Optionen in anderen Bundesländern sowie dem verlorenen Profil auf Bundesebene wieder finden. Ähnlich wie bei der FDP, die in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht ist, geht es bei den Grünen, deren Themen von Union und SPD aufgesogen werden, um die Frage: Entscheidet sich jetzt ihr Schicksal?

Denn die ehemals Alternativen haben nach der Bundestagswahl Spitzenpersonal ausgetauscht. Jürgen Trittin rückte in die zweite Reihe und liebäugelt nach verschiedenen Spekulationen häufig mit einem Comeback. Die Neuen, Anton Hofreiter und Simone Peter, müssen sich noch finden. Und im Hintergrund arbeitet der extrem beliebte baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann an einer Wiederwahl im Ländle. Da kann er nicht auf Parteiinteressen Rücksicht nehmen.

Muss er auch nicht. Nach einer Emnid-Umfrage für N24 wünschen sich viele Deutsche bei den Grünen eine wichtigere politische Rolle vor allem für Realpolitiker: 39 Prozent der Befragten wollten künftig mehr Einfluss für Winfried Kretschmann oder für Özdemir (35 Prozent) und für Katrin Göring-Eckardt (34 Prozent). Von Co-Parteichefin Simone Peter sagten dies nur 15 Prozent, von Co-Fraktionschef Anton Hofreiter 16 Prozent und von Ex-Umweltminister Jürgen Trittin 26 Prozent.

Parteichefin Simone Peter hat Fehler bei der Kommunikation eingeräumt. „Die Abstimmung auf Führungsebene war sicher nicht immer optimal“, sagte sie „Spiegel Online“. In Zukunft werde sie “lieber einmal mehr zum Telefonhörer greifen“, fügte sie hinzu.

Die Parteichefin und der Ko-Vorsitzende Cem Özdemir hatten in der jüngsten Vergangenheit öffentlich mitunter unterschiedliche Ansichten vertreten, zum Beispiel in Hinblick auf Äußerungen von Bundespräsident Joachim Gauck. “Dass es in einer Doppelspitze auch mal verschiedene Akzente gibt, ist doch ganz normal“, sagte Peter “Spiegel Online“.

Die Grünen wollen sich in Hamburg für eine Regierungsbeteiligung auch im Bund rüsten. Vor der an diesem Freitag beginnenden dreitägigen Bundesdelegiertenkonferenz sprach Parteichef Cem Özdemir von einem erfolgreichen Jahr 2014 mit guten Wahlergebnissen. „Wir sind wieder zweistellig geworden.“

Mit der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen seien die Grünen demnächst an acht Landesregierungen beteiligt. „Jetzt geht es darum, auch auf Bundesebene anzumelden, dass die Grünen die Oppositionspartei sind zur Großen Koalition und sich bereitmachen, 2017 auch im Bund zu regieren“, sagte Özdemir der Deutschen Presse-Agentur.

Auf dem Parteitag in der Hansestadt stehen bis zum Sonntag Themen wie Freiheit und Selbstbestimmung sowie die Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik im Vordergrund. Debattiert wird auch über Außen- und Sicherheitsfragen. Intensive Diskussionen werden zudem zur Asyl- und Flüchtlingspolitik erwartet.

Die Grünen wollen auch ihr Image als Verbotspartei loswerden. Dieses war mit für das schlechte Abschneiden der Partei (8,4 Prozent) bei der Bundestagswahl 2013 verantwortlich gemacht worden.

Als „neue FDP“ werden die Grünen Özdemir zufolge „ganz sicher“ nicht auftreten: „Die FDP ist nun alles, nur kein Jungbrunnen für Bündnis90/Die Grünen.“ Es gehe um die Frage, auch im Bund deutlich über zehn Prozent der Stimmen zu kommen und an die Länderergebnisse anzuknüpfen: „Bei der FDP stellen sich gerade ganz andere Fragen.“