Die humanitäre Waffenruhe verschafft den Menschen in Gaza eine kurze Atempause. Doch dann geht das Blutvergießen weiter. Die Zerstörungen sind immens, die Opferzahlen steigen.

Gaza/Tel Aviv. Nach einer Feuerpause zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas sind die Kämpfe im Gazastreifen am Sonntag wieder aufgeflammt. Israelische Vorstöße, die zwölfstündige humanitäre Waffenruhe vom Sonnabend um 24 Stunden zu verlängern, wies der militärischen Flügel der Hamas ab. Militante Palästinenser schossen am Sonntag 30 Raketen auf Israel ab, wie die Armee mitteilte. Das israelische Militär antwortete mit Gegenschlägen.

Zwar kündigte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri eine eigene 24-stündige Waffenpause ab Sonntag 13.00 Uhr (MESZ) an. Offenbar hatte der politische Flügel der Organisation das feierliche Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan im Auge – das Fest Eid al-Fitr soll am Montag beginnen. Die Militanten ignorierten dies jedoch. Auch nach dem genannten Zeitpunkt flogen Geschosse nach Israel.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte dem US-Sender CNN, dass Israel weitere humanitäre Feuerpausen vorerst ablehne. „Die Hamas hat ihre eigene Waffenruhe verletzt“, fügte er hinzu.

US-Präsident Barack Obama telefonierte erneut mit Netanjahu und nannte eine sofortige und bedingungslose humanitäre Feuerpause ein „strategisches Gebot“. Die USA seien zunehmend besorgt wegen der steigenen Opferzahlen auf palästinensischer und israelischer Seite und der humanitären Lage in Gaza. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon appellierte, beide Seiten brauchten eine „Pause von der Gewalt, der so viele zum Opfer gefallen sind, die so viele Leben zerstört und so viel verwüstet hat“.

Palästinensische Rettungskräfte berichteten am Sonntag von mindestens 13 Toten und mehr als 30 Verletzten durch neue Kampfhandlungen. Die Gesamtzahl der Toten im Gazastreifen stieg auf 1062, mehr als 6000 Menschen wurden verletzt. Mehr als zwei Drittel der Opfer sind nach palästinensischen Angaben Zivilisten. Auf israelischer Seite kamen seit dem 8. Juli 43 Soldaten und drei Zivilisten ums Leben.

Die Feuerpause am Samstag nutzten zahlreiche Menschen in Gaza dazu, um ihre Vorräte aufzustocken. Die Rettungskräfte erreichten erstmals seit Beginn der israelischen Bodenoffensive am 17. Juli bis dahin schwer umkämpfte „Todeszonen“, darunter in Gaza-Stadt das östliche Stadtviertel Sadschaija. Sie bargen mehr als 150 Leichen, wie die Rettungsdienste mitteilten.

Den Helfern bot sich ein Bild der Zerstörung und Verwüstung. Ganze Straßenzüge wurden durch Bombardements dem Erdboden gleichgemacht. Zurückkehrende Bewohner bahnten sich einen Weg durch Trümmerfelder und suchten nach Habseligkeiten. Einige begruben ihre toten Angehörigen auf freien Flächen zwischen den Häusern.

Außenminister aus sieben Staaten riefen bei einem kurzfristig anberaumten Nahost-Krisentreffen in Paris am Sonnabend beide Seiten auf, die Feuerpause zu verlängern. An dem Treffen nahmen die Ressortchefs aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, der Türkei und Katar teil. „Ich habe den Eindruck, dass der dritte Gaza-Konflikt noch härter geführt wird als die beiden vorherigen von 2008 und 2012. Deshalb sind große Anstrengungen nötig“, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Israel wirft der Hamas die Planung eines verheerenden Anschlags auf israelische Zivilisten durch die Tunnel im Grenzgebiet vor. Geheimdienstminister Juval Steinitz bestätigte entsprechende Medienberichte.

Die Hamas soll demnach geplant haben, am jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana im September Hunderte bewaffneter Kämpfer durch mehrere Tunnel gleichzeitig auf israelisches Gebiet zu schicken. Sie sollten dort so viele Menschen wie möglich töten oder in den Gazastreifen verschleppen, hieß es. Die Informationen, die sich nicht unabhängig überprüfen ließen, basierten auf den Aussagen von Hamas-Mitgliedern, die die israelische Armee während der Offensive im Gazastreifen festgenommen habe.

Drei Tage nach dem Beschuss eines Gebäudes voller Flüchtlinge in Beit Hanun wies die israelische Armee jede Verantwortung zurück. Nach eingehender Untersuchung sei erwiesen, dass eine einzige israelische Mörsergranate die als Flüchtlingslager des Hilfswerks UNRWA dienende Schule im nördlichen Gazastreifen getroffen habe, als diese bereits geräumt gewesen sei. In unmittelbarer Nachbarschaft der Schule hätten Hamas-Kämpfer agiert. Bei dem Angriff waren 16 Menschen getötet und 200 verletzt worden.

In Tel Aviv protestierten Tausende gegen den Gaza-Krieg. Linke Parteien und Menschenrechtsorganisationen hatten dazu aufgerufen. Bei Protesten und Unruhen im Westjordanland kamen über das Wochenende mindestens neun Palästinenser ums Leben.

In Deutschland demonstrierten tausende Menschen in mehreren Städten erneut gegen das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen und für eine andauernde Waffenruhe. Die Teilnehmerzahlen waren teilweise deutlich geringer als erwartet. Antisemitische Parolen wie in vergangenen Tagen oder andere Zwischenfälle blieben aus. Kundgebungen gab es etwa in Berlin, München, Frankfurt und Hamburg. Auch in Paris und London gingen Menschen auf die Straße.

Lufthansa, Air Berlin und Air France bieten inzwischen wieder Flüge nach Tel Aviv an. Viele Fluggesellschaften hatten den Ben-Gurion-Airport wegen Raketengefahr im israelisch- palästinensischen Konflikt mehrere Tage lang nicht angeflogen.